Kein Engel so rein
und in seinem Sessel einschlief. Er spürte, dass er an einer Art Schwelle stand. Sein Leben würde in eine deutlich abgegrenzte neue Phase eintreten. In eine Phase mit größeren Gefahren, größeren Risiken und größeren Belohnungen. Jetzt, wo er wusste, dass niemand ihn sehen konnte, musste er bei diesem Gedanken lächeln.
Das Telefon läutete und Bosch schrak hoch. Er machte die Stereoanlage aus und ging in die Küche. Als er den Hörer abnahm, sagte eine Frauenstimme, Deputy Chief Irving wolle ihn sprechen. Kurz darauf kam Irvings Stimme aus dem Hörer.
»Detective Bosch?«
»Ja?«
»Sie haben heute Ihre Versetzungsbenachrichtigung erhalten?«
»Ja, habe ich.«
»Gut. Ich wollte, dass Sie wissen, dass ich die Entscheidung getroffen habe, Sie in die Robbery-Homicide Division zurückzuholen.«
»Warum das, Chief?«
»Weil ich nach unserem letzten Gespräch beschlossen habe, Ihnen eine letzte Chance zu geben. Diese Versetzung ist diese Chance. Sie werden sich in einer Stellung befinden, in der ich Sie gut im Auge behalten kann.«
»Was wird das für eine Stellung sein?«
»Hat man Ihnen das nicht gesagt?«
»Man hat mir nur gesagt, ich soll mich zu Beginn der nächsten Gehaltsperiode bei der RHD melden. Mehr nicht.«
Aus dem Hörer kam nur Schweigen, und Bosch dachte, jetzt würde er den Sand im Getriebe entdecken. Er kam zur RHD zurück, aber als was? Er überlegte: Was war der schlechteste Posten in der besten Dienststelle?
Schließlich brach Irving das Schweigen.
»Sie erhalten Ihren alten Posten zurück. Homicide Special. Heute wurde eine Stelle frei, weil Detective Thornton seine Dienstmarke abgegeben hat.«
»Thornton.«
»Ganz richtig.«
»Werde ich mit Kiz Rider arbeiten?«
»Das hängt von Lieutenant Henriques ab. Aber Detective Rider hat im Augenblick keinen Partner, und Sie haben bereits erfolgreich mit ihr zusammengearbeitet.«
Bosch nickte. In der Küche war es dunkel. Er war begeistert, wollte seine Gemütsverfassung aber nicht übers Telefon zu Irving durchdringen lassen.
Als wüsste er von diesen Gedanken, sagte Irving: »Detective, Sie kommen sich jetzt vielleicht vor wie Phönix aus der Asche. Täuschen Sie sich nicht. Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse. Machen Sie keine Fehler. Denn sonst kriegen Sie es mit mir zu tun. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Sonnenklar.«
Ohne ein weiteres Wort legte Irving auf. Bosch stand im Dunkeln und hielt den Hörer an sein Ohr, bis ein lauter, enervierender Ton herauskam. Er hängte auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Er überlegte, ob er Kiz anrufen sollte, um zu sehen, wie viel sie wusste, beschloss aber, damit zu warten. Als er sich wieder in den Sessel setzte, spürte er, wie etwas Hartes gegen seine Hüfte drückte. Dass es seine Waffe nicht war, wusste er, weil er sie bereits abgelegt hatte. Er griff in seine Tasche und zog den Mini-Kassettenrecorder heraus.
Er schaltete ihn ein und hörte sich das Gespräch an, das er an dem Abend, an dem Trent sich umgebracht hatte, vor dessen Haus mit der Fernsehreporterin Surtain geführt hatte. Als er sich den Wortwechsel jetzt in Hinblick darauf anhörte, was danach passiert war, bekam er ein schlechtes Gewissen und dachte, er hätte mehr tun oder sagen sollen, um die Reporterin aufzuhalten.
Als er auf Band die Autotür zuschlagen hörte, drückte er auf die Stopptaste und spulte das Band zurück. Ihm war bewusst geworden, dass er noch gar nicht das ganze Gespräch mit Trent gehört hatte, weil er sich bei der Durchsuchung der anderen Zimmer des Hauses eine Weile außer Hörweite befunden hatte. Er beschloss, das jetzt nachzuholen. Es war schon einmal ein Anfang für die bevorstehenden Wochenendermittlungen.
Beim Zuhören versuchte Bosch, aus den Wörtern und Sätzen neue Bedeutungen herauszufiltern, Dinge, die einen Mörder verrieten. Dabei lag er in ständigem Widerstreit mit seinem Instinkt. Wenn er den fast verzweifelten Ton von Trents Worten hörte, blieb er bei seiner Überzeugung, dass der Mann nicht der Mörder war, dass seine Unschuldsbeteuerungen wahr gewesen waren. Und das widersprach natürlich dem, was er inzwischen wusste. Auf dem Skateboard, das in Trents Haus gefunden worden war, standen die Initialen des Jungen und das Jahr, in dem er das Board bekommen hatte und umgebracht worden war. Jetzt diente das Skateboard als eine Art Grabstein. Als ein Wegweiser für Bosch.
Er hörte sich das Gespräch mit Trent zu Ende an, aber nichts darin, auch nicht die Teile, die
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