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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Hygienevorschriften. Der Kerl hat sich die Hände nicht gewaschen.«
    Sie begann zu lachen.
    »Doch, wirklich. Gesetz ist Gesetz.«
    »Da kann ich nur hoffen, dass ich mein Sandwich bekomme, bevor Sie eine Kakerlake entdecken und den ganzen Laden dicht machen.«
    »Keine Angst, diese Kakerlake bin ich, glaube ich, gerade los geworden.«
    Zehn Minuten später, nachdem Bosch dem Besitzer des Lkw eine Standpauke gehalten hatte, weil er einen Journalisten an den Tatort geschmuggelt hatte, gingen sie mit ihren Sandwiches und Getränken zu einem der Klapptische, die die Männer von Special Services am Wendekreis aufgebaut hatten. Der Tisch war für die Ermittler reserviert, aber Bosch hatte keine Skrupel, Brasher mitzunehmen. Neben Kohl und einem der Gräber ihres Teams war auch Edgar da. Bosch stellte Brasher denen vor, die sie nicht kannten, und erwähnte, dass sie die Meldung als Erste bearbeitet und ihm am Abend zuvor geholfen hatte.
    »Und wo ist die Chefin?«, fragte Bosch, an Kohl gewandt.
    »Oh, sie hat schon gegessen. Ich glaube, sie wollte noch ein Interview mit sich selbst aufnehmen oder so.«
    Bosch grinste und nickte.
    »Ich glaube, ich hole mir noch einen Nachschlag«, sagte Edgar. Er stieg über die Bank und entfernte sich mit seinem Teller.
    Bosch biss in sein Sandwich und begann genießerisch zu kauen. Er war völlig ausgehungert. Eigentlich hatte er in der Pause nichts anderes tun wollen, als essen und sich ausruhen, aber Kohl fragte ihn, ob es ihm recht wäre, wenn sie ihm einige der Schlüsse vortrug, die sie aus den Grabungsergebnissen gezogen hatte. Bosch hatte den Mund gerade voll. Nachdem er hinuntergeschluckt hatte, bat er sie zu warten, bis sein Partner zurück wäre. Sie unterhielten sich ganz allgemein über den Zustand der Knochen und über Kohls Theorie, der Umstand, dass die Knochen in so geringer Tiefe vergraben worden waren, habe dazu geführt, dass Tiere sie ausgegraben und verstreut hätten – möglicherweise schon vor Jahren.
    »Wir finden bestimmt nicht alle«, sagte sie. »Nicht annähernd. Wir werden rasch an den Punkt kommen, an dem Aufwand und Kosten in keinem Verhältnis mehr zum Ergebnis stehen.«
    Edgar kam mit einem frischen Teller Brathähnchen zurück. Bosch nickte Kohl zu, worauf sie auf den Notizblock sah, der links von ihr auf dem Tisch lag. Sie überflog einige ihrer Notizen und begann: »Worauf ich Sie besonders aufmerksam machen möchte, sind die Tiefe des Grabes und seine Umgebung. Ich glaube, diese Punkte spielen eine ganz entscheidende Rolle. Sie müssen irgendwie mit der Frage zusammenhängen, wer dieser Junge war und was mit ihm passiert ist.«
    »Ein Junge?«
    »Die Hüftbreite und der Gummizug der Unterhose.«
    Sie erklärte ihnen, dass unter den zerfallenen und verrotteten Kleidungsresten der Gummizug als einziger Bestandteil der Unterwäsche übrig geblieben war, in der man die Leiche verscharrt hatte. Die Verwesungsflüssigkeit hatte zur raschen Zersetzung der Kleidung geführt. Nur der Gummizug war noch relativ gut erhalten und schien von einer Sorte Unterwäsche zu stammen, die für Jungen gemacht war.
    »Okay«, sagte Bosch. »Sie haben auch was über die Grabtiefe gesagt.«
    »Ja, wir glauben, dass sich Hüftpartie und unterer Wirbelsäulenbereich bei der Freilegung noch in unangetastetem Zustand befanden. Und wie bereits gesagt, haben wir es hier mit einem Grab zu tun, das nicht tiefer als fünfzehn bis dreißig Zentimeter war. Ein derart flaches Grab ist Ausdruck von Hast und Panik, von einer ganzen Reihe von Dingen also, die auf mangelnde Planung hindeuten. Aber –« sie hielt einen Finger hoch »– gleichzeitig deutet der Ort – sehr abgeschieden, sehr schwer zugänglich – auf das genaue Gegenteil hin. Er lässt auf sorgfältige Planung schließen. Wir haben es hier also mit einem Widerspruch zu tun. Der Ort wurde gewählt, weil er verdammt schwer zu erreichen ist, aber das Verscharren scheint sehr schnell und hektisch vonstatten gegangen zu sein. Eigentlich war die Leiche nur mit loser Erde und Fichtennadeln bedeckt. Ich weiß, es wird Ihnen nicht unbedingt helfen, den Täter zu schnappen, wenn ich Sie auf das alles aufmerksam mache, aber trotzdem möchte ich, dass auch Sie sehen, was ich hier sehe. Diesen Widerspruch.«
    Bosch nickte.
    »Es ist auf jeden Fall gut, das alles zu wissen. Wir werden es uns merken.«
    »Okay, gut. Der andere Widerspruch – der kleinere – ist der Rucksack. Ihn zusammen mit der Leiche zu vergraben war ein Fehler.

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