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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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sobald es Probleme gab. Wissen Sie, Arthur war ein schwieriges Kind. Von Anfang an. Er brauchte sehr viel Aufmerksamkeit, und nach einer Weile wurde das meiner Mutter zu viel. Eines Abends ging sie einfach los, im Drugstore Medizin kaufen, und kam nicht mehr zurück. Wir fanden kurze Abschiedsbriefe von ihr unter unseren Kopfkissen.«
    Bosch senkte den Blick auf sein Notizbuch. Es war nicht leicht, sich diese Geschichte anzuhören und dabei Sheila Delacroix anzusehen.
    »Wie alt waren Sie damals? Und wie alt war Ihr Bruder?«
    »Ich war sechs. Demnach müsste Artie zwei gewesen sein.«
    Bosch nickte.
    »Haben Sie diesen Brief von ihr aufgehoben?«
    »Nein. Das war nicht nötig. Ich musste nicht ständig daran erinnert werden, dass sie uns angeblich liebte, aber nicht genug, um bei uns zu bleiben.«
    »Und Arthur? Hat er seinen aufgehoben?«
    »Er war damals ja erst zwei. Deshalb hat ihn mein Vater für ihn aufbewahrt. Er gab ihn ihm, als er älter war. Vielleicht hat er ihn aufgehoben, ich weiß es nicht. Weil er sie im Grund gar nicht richtig kannte, war er immer sehr neugierig, wie sie war. Er hat mir ständig Fragen über sie gestellt. Es gab keine Fotos von ihr. Mein Vater hat sie alle vernichtet, damit er nicht an sie erinnert würde.«
    »Wissen Sie, was aus ihr geworden ist? Oder ob sie überhaupt noch lebt?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Und um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ist es mir auch egal, ob sie noch lebt oder nicht.«
    »Wie heißt sie?«
    »Christine Dorsett Delacroix. Dorsett war ihr Mädchenname.«
    »Wissen Sie ihr Geburtsdatum oder ihre Sozialversicherungsnummer?«
    Sheila Delacroix schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie Ihre eigene Geburtsurkunde hier?«
    »Sie müsste bei meinen Unterlagen sein. Ich könnte mal schnell nachsehen.«
    Sie machte sich daran aufzustehen.
    »Nein, warten Sie, das hat Zeit bis später. Ich fände es besser, wenn wir uns weiter hier unterhalten.«
    »Wie Sie wollen.«
    »Nachdem Ihre Mutter, ähm, weg war, hat Ihr Vater da wieder geheiratet?«
    »Nein. Er lebt jetzt allein.«
    »Hatte er mal eine Freundin, irgendjemand, der im Haus gewohnt hat?«
    Sie sah Bosch aus Augen an, die fast leblos wirkten.
    »Nein«, sagte sie. »Nie.«
    Bosch beschloss, zu einem Thema überzuleiten, das nicht so schwierig für sie wäre.
    »Auf welche Schule ging Ihr Bruder?«
    »Am Schluss war er bei den Brethren.«
    Bosch sagte nichts. Er notierte sich den Namen der Schule und machte ein großes B darunter. Er dachte an den Rucksack, als er den Buchstaben einkreiste. Sheila Delacroix fuhr unaufgefordert fort: »Es war eine Privatschule für schwer erziehbare Jungen. Mein Vater musste zahlen, um ihn dort hinschicken zu können . Sie ist nicht weit von der Kreuzung von Crescent Heights und Pico. Sie ist immer noch da.«
    »Warum ging er auf diese Schule? Ich meine, warum galt er als schwer erziehbar?«
    »Weil er aus allen anderen Schulen rausflog, hauptsächlich, weil er sich ständig geprügelt hat.«
    »Weil er sich ständig geprügelt hat?«, fragte Edgar.
    »Ja.«
    Edgar nahm das oberste Foto von dem Packen, den er mitnehmen wollte, und betrachtete es eine Weile.
    »Der Junge sieht doch wie ein richtiges Fliegengewicht aus. Hat er diese Schlägereien angefangen?«
    »Meistens. Er hatte Probleme, sich anzupassen. Das Einzige, was ihn interessierte, war sein Skateboard. Ich glaube, unter heutigen Maßstäben betrachtet, würde man sagen, er hatte ein durch mangelnde Zuwendung bedingtes hyperkinetisches Syndrom oder etwas in der Art. Er wollte einfach die ganze Zeit allein sein.«
    »Hat er sich bei diesen Schlägereien Verletzungen zugezogen?«, fragte Bosch.
    »Manchmal. Meistens blaue Flecken.«
    »Hat er sich auch mal was gebrochen?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Typische Schulhofprügeleien eben.«
    Bosch wurde unruhig. Die Angaben, die sie bekamen, zeigten in viele verschiedene Richtungen. Er hatte gehofft, nach diesem Gespräch würde sich ein deutlich umrissenes Ziel abzeichnen.
    »Sie haben gesagt, Ihr Vater hat die Schubladen im Zimmer Ihres Bruders durchsucht und gemerkt, dass einige Kleider fehlten.«
    »Ja. Aber nicht viele. Nur ein paar Sachen.«
    »Irgendeine Idee, ob etwas ganz Bestimmtes gefehlt hat?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Das weiß ich nicht mehr.«
    »In was hat er die Kleider mitgenommen? In einem Koffer oder so was?«
    »In seiner Schultasche, glaube ich. Er nahm die Bücher raus und packte die Kleider rein.«
    »Erinnern Sie sich noch, wie sie

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