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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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lange nicht mehr ausgesprochen, dass sie erst ausprobieren musste, ob sie es noch konnte.
    »Mrs. Waters, Arthur ist neunzehnhundertachtzig spurlos verschwunden. Wussten Sie das?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich war nicht mehr bei ihnen. Ich hatte sie fast zehn Jahre davor verlassen.«
    »Und Sie hatten keinerlei Kontakt mehr zu Ihrer Familie?«
    »Ich dachte …«
    Sie sprach nicht zu Ende. Bosch wartete.
    »Mrs. Waters?«
    »Ich konnte sie nicht mitnehmen. Ich war jung und fühlte mich überfordert. Ich habe mich vor meiner … Verantwortung gedrückt. Das gebe ich zu. Ich bin weggelaufen. Ich dachte, es wäre das Beste für sie, nichts von mir zu hören, nicht einmal von mir zu wissen.«
    Bosch nickte auf eine Art, die zum Ausdruck bringen sollte, dass er ihre damaligen Gedankengänge verstand und nachvollziehen konnte. Es spielte keine Rolle, dass er das nicht tat. Es spielte keine Rolle, dass auch seine eigene Mutter mit dem Problem zu kämpfen gehabt hatte, zu früh und unter widrigen Bedingungen ein Kind zu bekommen. Aber sie hatte mit einer Entschlossenheit zu ihm gestanden und ihn beschützt, die einen nachhaltigen Einfluss auf sein Leben gehabt hatte.
    »Sie haben ihnen Briefe geschrieben, bevor Sie sie verlassen haben? Ihren Kindern, meine ich.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Sheila hat es uns erzählt. Was haben Sie Arthur geschrieben?«
    »Ich … ich schrieb ihm nur, dass ich ihn liebe und immer an ihn denken werde, aber nicht bei ihm sein kann. Ich kann mich beim besten Willen nicht an alles erinnern, was ich damals geschrieben habe. Ist das denn wichtig?«
    Bosch zuckte mit den Schultern.
    »Keine Ahnung. Ihr Sohn hatte einen Brief bei sich. Es könnte der von Ihnen gewesen sein. Aber er ist schon sehr stark zersetzt. Deshalb werden wir das wahrscheinlich nie feststellen können. In der Scheidungsklage, die Sie ein paar Jahre nach Ihrem Auszug eingereicht haben, gaben Sie als Grund seelische und körperliche Grausamkeit an. Danach muss ich Sie fragen. Welche Formen nahm diese körperliche Grausamkeit an?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf, diesmal auf eine abschätzige Weise, als wäre die Frage ärgerlich oder dumm.
    »Was glauben Sie wohl? Sam hat mich ständig verprügelt. Er betrank sich, und dann wurde er unberechenbar. Er konnte wegen jeder Kleinigkeit hochgehen – weil das Baby schrie oder Sheila zu laut redete. Und immer ging er auf mich los.«
    »Er schlug Sie?«
    »Ja, er schlug mich. Er wurde dann zum Monster. Das war einer der Gründe, warum ich es nicht mehr aushielt.«
    »Aber die Kinder haben Sie bei diesem Monster zurückgelassen«, sagte Edgar.
    Diesmal reagierte sie nicht, als ob sie geschlagen worden wäre. Sie bedachte Edgar mit einem tödlichen Blick, der ihn seine entrüsteten Augen abwenden ließ. Sie sagte sehr ruhig: »Wie wollen Sie sich da ein Urteil anmaßen? Für mich ging es ums nackte Überleben, und ich konnte sie nicht mitnehmen. Hätte ich es versucht, hätte keiner von uns überlebt.«
    »Das haben sie sicher verstanden«, sagte Edgar.
    Die Frau stand erneut auf.
    »Ich glaube nicht, dass ich mit Ihnen noch weiter sprechen will. Sie finden sicher allein raus.«
    Sie ging zu dem Bogendurchgang am Ende des Raums.
    »Mrs. Waters«, sagte Bosch. »Wenn Sie jetzt nicht mit uns reden, werden wir uns eben diesen Gerichtsbeschluss besorgen.«
    »Meinetwegen«, sagte sie, ohne sich umzublicken. »Tun Sie das. Ich werde das Ganze einem meiner Anwälte übergeben.«
    »Und es wird in aller Öffentlichkeit in einem Gericht in der Stadt abgehandelt werden.«
    Bosch pokerte, aber vielleicht kam er damit durch. Er vermutete, dass ihr Leben in Palm Springs auf ihren Geheimnissen erbaut war. Und dass sie nicht wollte, dass irgendjemand in den Keller hinunterstieg. Es war nicht auszuschließen, dass es den Klatschmäulern von Palm Springs ähnlich schwer fiele wie Edgar, ihr Verhalten und ihre Motive so zu sehen wie sie selbst. Wenn sie ganz ehrlich war, fiel ihr das sogar selbst schwer, auch nach so vielen Jahren.
    Sie blieb im Durchgang stehen, sammelte sich und kam zur Couch zurück. Sie sah Bosch an und sagte: »Ich rede nur mit Ihnen. Ich möchte, dass er geht.«
    Bosch schüttelte den Kopf.
    »Er ist mein Partner. Es ist unser Fall. Er bleibt, Mrs. Waters.«
    »Trotzdem beantworte ich nur Fragen von Ihnen.«
    »Okay. Bitte setzen Sie sich.«
    Das tat sie, wobei sie sich diesmal auf das Ende der Couch niederließ, das am weitesten von Edgar entfernt und Bosch am nächsten

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