Kein Engel so rein
dem Tisch und fixierte Bosch mit einem harten Blick.
»Okay, Harry, mein Drink ist bereits unterwegs. Du kannst mir also reinen Wein einschenken. Aber ich muss dich warnen, falls du mir sagen willst, dass wir einfach bloß gute Freunde sein sollen. Freunde habe ich nämlich schon genug.«
Bosch konnte nicht anders. Er musste grinsen. Ihre Unverblümtheit, ihre Direktheit gefiel ihm. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, ich will nicht dein Freund sein, Julia. Ganz und gar nicht.«
Er fasste über den Tisch und drückte ihren Unterarm. Instinktiv sah er sich um, um sich zu vergewissern, dass es keinen Kollegen hierher verschlagen hatte. Er entdeckte niemand, den er kannte, und sah Julia wieder an.
»Was ich will, ist mit dir zusammen sein. So, wie wir das bisher waren.«
»Gut. Ich auch.«
»Aber wir müssen vorsichtig sein. Du bist noch nicht lange genug bei der Polizei. Ich dagegen schon. Und deshalb weiß ich, wie schnell sich so was rumspricht. Es ist also meine Schuld. Wir hätten an dem ersten Abend auf keinen Fall deinen Wagen auf dem Parkplatz stehen lassen dürfen.«
»Die können mich mal, wenn sie keinen Spaß verstehen.«
»Nein, es ist –«
Er wartete, bis die Bedienung ihre Biere auf kleine Papieruntersetzer mit dem Guinness-Wappen gestellt hatte.
»So ist es nicht, Julia«, sagte er, als sie wieder allein waren. »Wenn wir weitermachen wollen, müssen wir vorsichtiger sein. Wir müssen auf Tauchstation gehen. Keine Treffen an der Bank mehr, keine Zettel, nichts mehr in der Art. Nicht mal hierher können wir noch gehen, weil hier Cops herkommen. Wir müssen total untertauchen. Wir treffen uns außerhalb der Station, wir unterhalten uns außerhalb der Station.«
»Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, wir wären so was wie Spione.«
Bosch nahm sein Glas, stieß damit gegen ihres und nahm einen langen Schluck daraus. Es schmeckte so gut nach so einem langen Tag. Er musste sofort ein Gähnen unterdrücken, wovon sich Julia anstecken ließ.
»Spione? Da liegst du gar nicht mal so falsch. Vergiss nicht, ich bin schon über fünfundzwanzig Jahre bei der Polizei. Du bist noch eine Anfängerin, ein Baby. Ich habe mehr Feinde als du Festnahmen vorzuweisen hast. Einige dieser Leute würden jede Gelegenheit ergreifen, um mich fertig zu machen, wenn sie nur könnten. Das klingt vielleicht so, als würde ich mir nur um mich selbst Gedanken machen, aber die Sache ist die: Wenn sie, um mich zu kriegen, einen Anfänger fertig machen müssen, tun sie das, ohne mit der Wimper zu zucken. Und das ist mein voller Ernst. Ohne mit der Wimper zu zucken.«
Sie zog den Kopf ein und spähte in beide Richtungen.
»Okay, Harry – das heißt, Geheimagent Null-Null-Fünfundvierzig.«
Bosch lächelte und schüttelte den Kopf.
»Ja, ja, du denkst, das ist alles ein Witz. Warte nur, bis du deine erste Dienstaufsichtsbeschwerde am Hals hast. Dann siehst du, wie das läuft.«
»Jetzt komm schon, ich denke nicht, das ist ein Witz. Ich mache mich nur darüber lustig.«
Sie tranken beide von ihrem Bier, und Bosch lehnte sich zurück und versuchte sich zu entspannen. Die Hitze aus dem Kamin fühlte sich gut an. Auf dem Weg hierher war es ziemlich frisch gewesen. Er sah Julia an, und sie lächelte, als wüsste sie ein Geheimnis über ihn.
»Was ist?«
»Nichts. Du steigerst dich da immer gleich so rein.«
»Ich versuche nur, dich zu beschützen, mehr nicht. Ich habe schon über fünfundzwanzig Jahre auf dem Buckel, mir kann das Ganze ziemlich egal sein.«
»Was soll das heißen? Ich habe gehört, dass man mit fünfundzwanzig plus … dass man da praktisch unantastbar ist oder so ähnlich.«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Niemand ist unantastbar. Aber wenn man die Fünfundzwanzig-Jahre-Marke erreicht hat, ist man an der Spitze der Pensionsleiter angelangt. Es ist also egal, ob du mit fünfundzwanzig oder mit fünfunddreißig Jahren aufhörst, du kriegst immer die gleiche Rente. ›Fünfundzwanzig plus‹ heißt also nur, man hat etwas Leck-mich-am-Arsch-Spielraum. Wenn dir nicht passt, wie sie mit dir umspringen, kannst du jederzeit Schluss machen und alles hinschmeißen. Denn dann machst du es nicht mehr wegen des Geldes und des Kicks.«
Die Bedienung stellte einen Korb mit Popcorn auf den Tisch. Julia ließ etwas Zeit verstreichen, dann beugte sie sich über den Tisch, sodass ihr Kinn fast direkt über ihrem Bierglas war.
»Warum machst du es dann?«
Bosch zuckte mit den Schultern und blickte auf sein Glas
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