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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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Madam?«
    »Mein Name?«, versetzte Patricia.
    »Das ist meine Tochter. Sie möchte Ihren Namen wissen.«
    Das war eine ungewöhnliche Frage.
    »Special Agent Patricia Melanchthon.«
    Der Vater wiederholte. Dann fuhr er fort: »Ja, meine Liebe. Wir telefonieren später. Ich rufe dich an, sobald sie gegangen sind. Ich auch.«
    Er legte auf und kehrte zu Patricia zurück.
    »Das war meine Tochter.«
    Patricia verzog das Gesicht. Sie überprüfte ihre Akte über Turd. Nirgendwo war von einer Schwester die Rede.
    »Lebt Ihre Tochter in Rhode Island?«
    »Nein, sie hat vor einem Jahr einen Job in einem anderen Staat gefunden … Nach ihrer Scheidung.«
    Neugierig griff Patricia nach dem Foto auf dem Tisch.
    »Seine Freundin vielleicht?«
    »Nein. Nein, das ist eben unsere Tochter. Abigail.«
    Melanchthon fuhr hoch. Abigail!
    »Abigail Burroughs?«, schleuderte sie dem Vater entgegen.
    »Ja. Das ist der Name ihres Mannes. Woher wissen Sie das?«
    Stu Sheridans Computerspezialistin. Das Mädchen aus dem Archiv! Die Staatspolizei von New Hampshire. Patricia stürzte mit dem Foto in der Hand wieder zur Mutter. Sie war in heller Aufregung.
    »Es ist Ihre Tochter, nicht wahr?«, rief sie. »Durch Ihre Tochter kennen Sie diesen Typ und nicht durch Ihren Sohn!«
    Mit bleichem Gesicht und verstörtem Blick nickte Mrs. Turd ein zweites Mal unmissverständlich mit dem Kopf.
    »Was ist hier los?«, wiederholte der Vater. »Wer ist dieser Kerl?«
    Ohne die geringste Rücksicht auf den Kummer dieser Menschen stürzte Patricia aus dem Haus. Ohne Erklärung, ohne Abschiedsgruß.
    »Herrgott!«, fluchte sie. »Wir haben uns an der Nase herumführen lassen, vom ersten Tag an. Das Massaker an den vierundzwanzig diente nur dazu, die Polizei von New Hampshire hineinzuziehen. Und Abigail Burroughs als Expertin aus dem Archiv sollte Stu Sheridan in den Fall verwickeln! Und ihn zu Boz führen. Mist, er ist das Opfer!«

22
    Währenddessen besichtigte der Autor in Begleitung von Oscar Stapleton und zwei seiner Freude, Jonathan Marlowe und Daniel Liebermann, auf dem Campus von Durrisdeer den Park und die Gebäude. Diese drei Jungen bildeten das Triumvirat des Klubs der Schreiber.
    Sie waren von Franklin und Sheridan darüber informiert, dass Boz potenziell ein Mörder war und dass sie ein gewisses Risiko eingingen, wenn sie ihm eine »Falle« stellen wollten. Zugleich aber hatte man sie beruhigt: Überall im Wald war das FBI zu ihrer Bewachung verteilt, und sie waren allesamt mit Mikrophonen ausgestattet.
    Unter ihrer Führung entdeckte Boz das italienische Logentheater mit seinen dreihundert Sitzplätzen, die Sternwarte und die hypermoderne Bibliothek der Universität. Stapleton betonte den einzigartigen und völlig abgeschotteten Charakter von Durrisdeer und erwähnte Iacobs Carta und das Gewicht der Traditionen.
    Dann kam Oscar auf den berühmten literarischen Klub zu sprechen, der von Generation zu Generation in völliger Unabhängigkeit weiterbestand. Der Klub der Schreiber. Er erzählte von den Rollenspielen, den Initiationsriten, den Fallen, dem Nachspielen bestimmter Werke, dem Mumm und dem Grad an Organisation seiner Mitglieder seit mehr als einem Jahrhundert. Boz fand das alles charmant. Die drei Jungen zeigten ihm die allegorischen Gärten mitten im Wald: das Schachbrett, den Rosengarten und Theseus’ Labyrinth.
    Die Fläche des Schachbretts maß acht mal acht Meter. Die Figuren waren mannshoch.
    »Unser ehemaliger Literaturprofessor Mycroft Doyle hat dieses Schachbrett erfunden«, sagte Oscar. »Die Figuren stellen alle berühmte Schriftsteller dar.«
    Boz erkannte Platon als König der Weißen und Aristoteles als König der Schwarzen. Er identifizierte Äschylos an seinem kahlen und zerschmetterten Schädel, Cervantes an seinem fehlenden Arm, Homer an seinen blinden Pupillen, den jungen Goethe an seinen Schlittschuhen und Shakespeare … an Shakespeare. Die Königinnen? Aspasia von Milet und Eleanor von Aquitanien.
    Nach dem Schachbrett kam der Rosengarten.
    »Noch eine Idee von Doyle«, sagte Oscar. »Eine Hommage an das mittelalterliche Werk von de Meung und de Lorris, den Rosenroman .«
    Der Garten bestand aus einem Ensemble von Rosenspalieren, die sich kreuzten und von oben betrachtet gemeinsam eine riesige Rosette bildeten.
    Schließlich kam das Labyrinth. Es bestand aus dichten, undurchdringlichen Hecken von zweieinhalb Metern Höhe. Mit seinen Sackgassen, Rundwegen und Parallelparcours war es ein gelungener Irrweg. An manchen

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