Kein Entrinnen
eine Polizeistreife des Bezirks E der Stadt Nashua, fünfundfünfzig Kilometer südöstlich von Concord, eine Beschwerde von Bewohnern des Wohngebiets von Mountmary auf. Ein Chevrolet Sedan mit einem kanadischen Nummernschild stand verlassen auf dem Parkplatz einer Grundschule. Von seinem ekelerregenden Gestank wurde allen übel, die sich ihm näherten.
Die Beamten brachen den Kofferraum gewaltsam auf.
Im Innern zersetzte sich mit rasender Geschwindigkeit der Leichnam einer jungen Frau, wobei die Verwesung durch die Gluthitze, die in dem Kofferraum herrschte, noch um ein Vielfaches beschleunigt wurde.
Der Leichnam wurde in die Klinik von Nashua gebracht. Die Autopsie ergab gewaltsamen Tod durch Ersticken.
Das Justizministerium identifizierte die Leiche als Abigail Burroughs, geborene Turd, vermisst gemeldet seit vier Monaten …
Frank Franklin wohnte noch immer in Durrisdeer. Die Universität war seit den Ereignissen im Frühling geschlossen. Der Campus war menschenleer. Viele Studenten hatten die Einrichtung verlassen und beabsichtigten nicht, im Herbst zurückzukommen. Die Anzahl der Bewerbungen für das nächste Jahr war um siebzig Prozent gefallen. Weder Dekan Emerson noch das Rektorat machten sich deshalb Sorgen. Die Kasse von Durrisdeer war gut gefüllt, und der Verkauf einiger Grundstücksparzellen würde reichen, um die Liquidität der Universität zu gewährleisten, bis die Studentenzahlen wieder auf ein normales Niveau gestiegen waren.
Seit der Unterbrechung der Kurse hatte Franklin unermüdlich an seinem Roman gearbeitet. Jenem Roman, den er seinem Verleger versprochen hatte und in dem er sein »Intermezzo« mit der Polizei und dem FBI schilderte. Für ihn war das eine Methode, um sich von dem Drama und seinen Schuldgefühlen zu befreien. Nachdem er die Erscheinung und die Wesensmerkmale von Ben O. Boz und allen anderen Hauptpersonen gründlich verfälscht hatte, begann Der Schriftsteller am Ende dieses Sommers allmählich Gestalt anzunehmen. Frank hatte mit dem Gedanken gespielt, in Anspielung auf das Geheimdokument des FBI Die schwarze Liste als Titel zu wählen.
Was Boz anbelangte, so war von Seiten des mörderischen Schriftstellers kein neues Buch angekündigt.
Aus gutem Grund.
Ein Anruf von Sheridan setzte ihn über seine aus dem Merrimack gefischte Leiche in Kenntnis.
»Ermordet?«, fragte Frank.
»Keine Ahnung. Aber nicht unmöglich. Es läuft eine Untersuchung.«
Franklin grübelte, wer das getan haben konnte.
»Vielleicht einer vom FBI«, schlug er vor, »ein ehemaliges Mitglied der Sonderermittler von »The Last Word«, das beschlossen hat, die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen?«
»Möglich. Einer oder eine.«
Ben O. Boz hatte keine Familie. Sein letzter Wille wurde von einem Notar aus Montpelier bekannt gegeben. Er bat darum, eingeäschert zu werden und seine Asche sollte auf einem Strand der Iles de la Madeleine in Kanada verstreut werden. Wie er es einst selbst mit der Asche seiner Mutter getan hatte.
Erstaunlicherweise waren bei der Zeremonie abgesehen vom Notar nur Polizisten anwesend! Patricia Melanchthon und Ike Granwood hätten sich diesen Augenblick nicht für viel Geld entgehen lassen, ebenso wenig wie die Familienangehörigen der sieben ihrer Theorie nach von dem Schriftsteller ermordeten FBI-Agenten. Sowohl sein Fan, der Sheriff, wie auch der Buchhändler von Dovington waren verhindert.
Franklin fand die Zeremonie verstörend: Kein Mensch ergriff das Wort. Kein Priester, kein Pastor, kein Verwandter, kein Freund. Kein Wort des Trosts oder der Besänftigung für Boz’ Seele. Als es darum ging, die Asche der Urne zu verstreuen, wollte niemand sich dazu bereit erklären. Schließlich trat Franklin vor, mehr um die peinliche Situation zu beenden, als aus Pflichtgefühl gegenüber dem Verstorbenen. Seine sterblichen Überreste wirbelten einen Augenblick lang im Wind herum und lösten sich dann zwischen Sand und Wasser auf.
Sein Haus in Dovington wurde von oben bis unten vom FBI und der Polizei in Beschlag genommen, die über seinen Tod durch Ertrinken ermittelten. Abgesehen vom Untergeschoss des ursprünglichen Besitzers entdeckten sie nichts. Wenn es Dokumente gab, die auf Boz’ Verwicklung in die Dutzende von Morde, die man ihm zur Last legte, hinwiesen, dann waren sie verschwunden.
Boz’ Tod klärte gar nichts.
Ganz im Gegenteil.
2
Franklin saß an seinem Schreibtisch und nahm die letzten Bewerbungsunterlagen in Augenschein, die in dieser Woche
Weitere Kostenlose Bücher