Kein Entrinnen
Staatspolizei bat mich um die Erlaubnis, einen Teil unserer Wälder zu durchsuchen. Sie werden alles durchkämmen, so scheint es.«
»Suchen sie jemanden?«
»Nicht genau. Ich habe ihre Erklärungen nicht ganz verstanden. Sie wollen einen Sicherheitsgürtel einrichten. Nun ja, abgesehen von der Begegnung mit wilden Tieren riskiert man in diesem Waldgelände nichts, es ist vollkommen gottverlassen. Geradezu undurchdringlich. Wir werden sehen. Hat die Besichtigung Ihnen gefallen?«
»Sie war jedenfalls frisch. Und sehr informativ. Alles höchst eindrucksvoll.«
»Nicht wahr? Wir haben hier ein großartiges Arbeitsumfeld.«
Emerson öffnete eine Schublade und holte einen Schlüsselbund und eine Fernbedienung daraus hervor.
»Das ist für Sie. Die Hauptschlüssel für alle Gebäude und die Fernbedienung für die Portale. Damit sind Sie von nun an hier zu Hause.«
Er reichte ihm mehrere Blatt Papier.
»Hier finden Sie Ihren Mietvertrag für das Haus mit der exakten Anschrift für Ihre Post sowie die Unterlagen für Ihren Telefonvertrag.«
Er folgten die Akten über jeden Schüler, beginnend mit seiner Bewerbung, die Noten aus Doyles Kursen und die korrigierten schriftlichen Arbeiten eines jeden von ihnen. Das ganze Jahr seit Oktober war detailliert in einem dicken Aktenordner erfasst.
»Ich weiß, dass bei Ihrer Art von Unterricht alles sehr subjektiv ist«, sagte der Dekan. »Vor allem die Aufnahmekriterien. Man wählt Studenten für Kreatives Schreiben nicht so aus wie Naturwissenschaftler. Daher werden Sie bis zum nächsten Jahr gezwungenermaßen die Auswahl von Mycroft Doyle übernehmen müssen. Das zweite Semester beispielsweise ist der Novelle gewidmet. Er hat eine sehr spezielle Liste von Primär- und Sekundärliteratur erstellt, die zum Beginn des Jahres ausgeteilt wurde. Er hatte einen besonderen Typus von Studenten im Auge … Sie werden auf zukünftige Bewerber warten müssen, um Ihre eigene Klasse zusammenzustellen. Ich rate Ihnen, sich fürs Erste nicht zu weit von Doyle zu entfernen. Versuchen Sie, sich seine Gedanken zu eigen zu machen und zu verstehen, was er jedem seiner Schüler entsprechend seinem individuellen Temperament beibringen wollte. Alle frischgebackenen Professoren begehen den gleichen Irrtum und wollen den Dingen allzu früh ihren Stempel aufdrücken, oft auf brutale Weise. Lassen Sie sich Zeit.«
»Aber ich weiß nichts über diesen Doyle. Abgesehen von seinem Grab und seinem Klassenpavillon!«
Emerson lächelte. Er holte aus einem Regal ein Jahrbuch vom vergangenen Jahr. Auf den Seiten, die den Professoren von Durrisdeer gewidmet waren, gab es ein Foto von Doyle.
»So sah er aus!«
Das Gesicht war oval und ziemlich dick, die zerzausten grauen Haare gingen in einen ebenso grauen Bart über. Es war voller Runzeln, die Augen verschwanden in den Hautfältchen und Augenbrauen. Insgesamt sah der Mann so unangenehm wie nur möglich aus.
»Dabei bringt ihn das Foto gar nicht richtig zur Geltung«, fügte Emerson hinzu, »denn es ist eine Schwarzweißaufnahme. Der Teufelskerl hatte zudem zwei verschiedenfarbige Augen. Wenn er nachdachte, schloss er unweigerlich sein dunkles Auge und fixierte sein Gegenüber mit dem anderen. Er war ein Komödiant, aber wenn man nicht daran gewöhnt war, brachte es einen aus der Fassung. Er machte sich einen Spaß daraus. Das trug zur Legendenbildung und zur Verehrung seiner Schüler für ihn bei.«
Franklin lächelte innerlich. Mycroft Doyle war immer wieder Anlass für neue Überraschungen …
7
Stu Sheridan, Amos Garcia und der Gerichtsmediziner Basile King trafen sich zum Frühstück im Old Man of the Mountain , einem Schnellimbiss in Concord. Abgesehen vom Namen war der Ort vollkommen nichtssagend und so abgelegen, dass sie keine Gefahr liefen, anderen Cops zu begegnen.
Die drei Männer hatten einen verschlossenen Gesichtsausdruck aufgesetzt. In der Nacht hatte das FBI endgültig reinen Tisch gemacht.
Sheridan ergriff als Erster das Wort: »Ich habe heute Morgen um fünf Uhr einen Anruf von Ike Granwood erhalten!«
Granwood war der Leiter der Abteilung Norden des FBI. Ein hohes Tier, das felsenfest auf seinem Stuhl saß. Man erhielt nur selten einen Anruf von ihm.
»Er hat seine Begrüßung mit einem Vortrag über unsere Verpflichtung garniert, uns bis auf weitere Anweisungen aus dieser Sache herauszuhalten! Er hat nicht drumherum geredet: Wir sind nicht auf die Ersatzbank befördert worden, meine Freunde, Granwood hat uns schlicht und
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