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Kein Entrinnen

Titel: Kein Entrinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou
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zündete er sich eine Zigarette an und zog nervös daran, ohne es zu bemerken. Er kam immer wieder auf diese vierundzwanzig Toten zurück, die alles ins Rollen gebracht hatten. Wozu eine derart aufwändige Inszenierung? Nur als anschauliche Materialsammlung für den Kreis der Selbstmörder ? Das schien ungeheuerlich. Und wie hatte er es angestellt?
    »Er entledigt sich seiner Versuchskaninchen. Er bricht die Brücken hinter sich ab«, hatte Melanchthon in entschiedenem Ton verkündet.
    Aber was hatte Boz bis jetzt gewonnen, indem er seine Flotte versenkte? Seine Sensationsgeschichte war fehlgeschlagen, die Medien brachten kein Wort darüber, sogar sein Zellenbunker war geheim geblieben, und ein sturer Typ wie Sheridan hatte sich eingemischt. Dann hatte derselbe Sheridan einen armen Literaturprofessor mit hineingezogen. Diese letzte Entwicklung konnte Boz nicht vorausgeahnt haben , so schlau er auch sein mochte. Was also sollte ihm das Ganze letzten Endes bringen?
    Dem Professor missfiel die Vorstellung, er sei nur ein kleines Sandkorn, das sich in einem von Boz ersonnenen Räderwerk verklemmt hatte. Ein Räderwerk, das niemand auch nur irgendwie durchschaute. Er fühlte sich noch verletzbarer.
    Je besser er Boz’ Persönlichkeit einschätzen konnte, die in diesem Ordner bis in die kleinsten Einzelheiten analysiert wurde, umso weniger konnte er sich erklären, was er da machte. Sorgfältig verstaute er die Unterlagen in den Schubläden seines Schreibtisches, sperrte mit dem Schlüssel ab und versenkte diesen wieder in der Mechanik seiner Schreibmaschine.
    Frank fragte sich, was ihm die Lektüre dieser Berichte, all dieser von dem Schriftsteller begangenen Gräuel eigentlich gebracht hatte … Die Antwort fiel ihm ein, während er die Treppe zu Mary hinabstieg.
    Ein übermächtiges Schutzbedürfnis.
    »Eine Waffe!«, dachte er sich. »Ich brauche eine Waffe. Ich setze keinen Fuß in Boz’ Haus ohne eine Kanone und Munition.«
    Nachdem sich diese Idee in seinem Kopf festgesetzt hatte, war er den ganzen Abend über in Gedanken woanders. Mary sprach zu ihm, doch er hörte kaum zu. Wie konnte er sich rechtzeitig eine Waffe beschaffen?
    »Wenn Boz irgendetwas Bedrohliches tut, wenn er ausklinkt, wenn ich eine Falle sehe, dann lege ich ihn um ! Einfach so. Ohne nachzudenken. Ich bin derjenige, der die Grenzen festlegt. Das FBI wird danach schon alles zurechtbiegen …«
    Doch die Agenten hatten ihm am Tag zuvor erklärt, dass er während des Gesprächs nicht einmal ein Minimikro tragen würde. Sie wollten bei der ersten Begegnung kein Risiko eingehen. Boz durfte nicht auf die Idee kommen …
    Okay.
    »Ich werde mir eine Kanone besorgen, ohne dass sie etwas davon erfahren.«
    Gestern hatten Patricia Melanchthon und Ike Granwood ihn noch beiseitegenommen.
    »Kleiner, wir sagen dir die Wahrheit. Wir haben nur ein einziges Ziel, wenn wir dich dorthin gehen lassen. Ein einziges. Behalte das gut im Kopf. Für den Fall der Fälle. Wenn die Gelegenheit sich bietet.«
    »Und zwar?«
    »Herauszufinden, woran Ben O. Boz im Augenblick schreibt. Nach Der Kreis der Selbstmörder . Versuch das Thema seines nächsten Romans anzuschlagen. Eine der Personen darin … wird er als Nächstes töten. Sehr bald.«
    »He! Hörst du mich?«
    Das war Mary.
    »Du benimmst dich, als wäre ich gar nicht da. Du hörst nichts von dem, was ich dir seit fünf Minuten erzähle, stimmt’s?«
    Richtig.
    Er sah sie lange an, ohne ein Wort zu sagen.
    Sie wurde unruhig.
    »Was? Was ist mit dir los?«
    Nun fixierte sie ihn. Ihre Miene wurde immer enttäuschter. Plötzlich kam sie zu einem Schluss.
    »Aha! Ich weiß schon«, sagte sie. »Ich kenne dieses Gesicht bei den Männern. Du wirst mir gleich einen Schwachsinn erzählen in der Art von: Ich habe nachgedacht, wir sollten uns vielleicht ein bisschen mehr Freiraum lassen … jetzt wo ich mein neues Buch schreibe, das ganze Geschwafel! Willst du, dass ich gehe?«
    Er schüttelte verneinend den Kopf.
    »Nein?«
    Frank wiederholte seine Geste, dann ließ er seinen Blick über die Mauern, die Lampen und das Telefon wandern wie jemand, der hinter jeder Wand verborgene Lauscher argwöhnt.
    »Was hältst du von einem kleinen Ausflug?«, fragte er sie.
    »Was? Jetzt? Einen Ausflug? Wohin?«
    Er lächelte sie strahlend an, stand auf und sagte: »Wir nehmen dein Auto.«

10
    Ben O. Boz war 59 Jahre alt. Sein wahrer Name lautete Clark John Doornik, er war am 30. September 1948 in Des Moines in Iowa geboren worden. Seine

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