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Kein Fall für Mr. Holmes

Kein Fall für Mr. Holmes

Titel: Kein Fall für Mr. Holmes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney Hosier
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anstünde.
    »Setz dich ruhig, Mary, sei ein gutes Mädchen«, bestätigte meine alte Freundin mit einem freundlichen Lächeln. »Laß dir keine Gelegenheit entgehen, um deine Füße zu entlasten, sag’ ich immer.«
    Kaum war sie meiner Bitte nachgekommen, rutschte sie auch schon so unruhig in ihrem Sessel hin und her, wie es ein vor den Direktor gezerrter Schüler tun würde. Da wir uns nun auf gleicher Höhe befanden, konnte ich verblüfft eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und dem ermordeten Mädchen erkennen.
    Guter Gott, dachte ich, als mir die Erinnerung an meinen verstorbenen Gatten durch den Kopf schoß, der von den Gesichtern seiner toten Schiffskameraden verfolgt wurde, würde ich von nun an das Gesicht des armen toten Mädchens in dem Gesicht jeder jungen Frau sehen?
    »Stimmt etwas nicht, Mrs. Hudson?«
    »Wie?«
    Ich war tief in Gedanken versunken und hatte nicht bemerkt, daß sie mein Starren, so unbeabsichtigt jene Unhöflichkeit war, unnötig in Verlegenheit brachte.
    »Nein, nein. Nichts«, erwiderte ich lächelnd. »Nun erzähl mir doch«, fragte ich, »wo ist dein Zuhause?«
    »Zuhause? County Clare in Irland, Mrs. Hudson.«
    »County Clare«, wiederholte ich. »Schon der Name hat so etwas Schwungvolles an sich. Es muß dort sehr schön sein.«
    »Schön, sagten Sie? Davon weiß ich nichts.«
    »Oh.« Ich wußte nicht so recht, was ich sonst sagen sollte.
    »Man hat nicht allzuviel Gelegenheit, die Gegend zu bewundern, wenn man die Älteste von acht ist, gnädige Frau. Hab’ mein ganzes Leben lang schwer gearbeitet, wirklich. Mein Vater ist gestorben, und meine Mutter ist zwar ‘ne liebe Frau, aber sie hat keinen Tag, ohne daß ihr irgendwas weh tut, da blieb es an mir hängen, mich um die ganze Schar zu kümmern! Kochen, waschen, schrubben, und nie einen Tag für mich allein. Sehen Sie«, rief sie und streckte ihre Arme vor uns aus, »neunzehn bin ich, und ich habe Hände wie ‘ne alte Frau! Oh«, stammelte sie mit hochroten Wangen, »du meine Güte, Madam, ich wollte nicht sagen…«
    Wir beiden älteren Damen lächelten.
    »Na, komm, mach dir keine Sorgen, Mary«, antwortete meine Freundin mit einem Kichern. »Em und ich machen uns keine Hoffnungen, daß wir in dieser Phase unseres Lebens noch zur Maikönigin gekürt werden könnten.«
    »Und so bist du nach England gekommen, um ein Vermögen zu machen«, sagte ich, noch immer über Violets letzte Bemerkung lächelnd.
    »Unsereins denkt nicht an ein Vermögen, Mrs. Hudson. Einen ehrlichen Tageslohn für eine ehrliche Tagesarbeit, das ist alles, was ich verlangen oder erhoffen kann.«
    »Und Haddley Hall – dir gefällt es gut hier, nicht wahr?«
    »Recht gut.«
    Sie gab mir Gelegenheit einzuhaken, und ich warf sofort den Anker. »Und Will Tadlock, der gefällt dir auch recht gut?«
    Ihr Mund stand offen, während sie die Augen verwirrt und überrascht weit aufriß. Sie rutschte unruhig in ihrem Sessel hin und her, wandte sich erst Vi und dann mir zu. »Will Tadlock? Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mrs. Hudson, und das ist die Wahrheit.«
    »Ach, komm schon, Mary, du und Will – das weiß doch jeder.« Ich warf Violet rasch einen Blick zu. »Stimmt’s nicht, Mrs. Warner?«
    »Mhm, das ist schon richtig«, antwortete sie und half, der Lüge Glaubwürdigkeit zu verschaffen. »Ist kein Geheimnis für mich. Auch nicht für andere.«
    »Andere, sagen Sie?« rief sie aus und packte die Armlehnen des Sessels mit Fingern, die sich tief in den Stoff bohrten. »A… aber Lady Margaret«, stammelte sie, »sie weiß doch nichts, oder?«
    »Nein«, sagte ich, »sie zumindest weiß nichts.« Was aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich der Fall war.
    Ihr Körper, den sie noch Augenblicke zuvor so aufrecht gehalten hatte wie ein Leibgardist, fiel plötzlich mit einem überwältigenden Gefühl der Erleichterung wie eine Stoffpuppe in sich zusammen.
    »Gott sei’s gedankt!« rief sie aus.
    Meine Freundin und ich tauschten verwunderte Blicke aus.
    »Warum sorgst du dich so im Hinblick auf Lady Margaret?« fragte ich.
    Keine Antwort.
    Wir saßen schweigend da, bis sich die junge Frau recht unerwartet erhob. »Wenn Sie sonst nichts mehr wünschen, Mrs. Hudson, Mrs. Warner, sollte ich wohl besser wieder an meine Arbeit gehen.«
    Ich war durch ihren spontanen Abbruch der Unterhaltung einen Augenblick lang verwirrt. Aber bevor ich sie aus dem Zimmer hinaussegeln ließ, legte ich mich ins Zeug und hoffte, ihre Verteidigung zu entwaffnen.
    »Ich glaube

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