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Kein Fall für Mr. Holmes

Kein Fall für Mr. Holmes

Titel: Kein Fall für Mr. Holmes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney Hosier
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aber ich hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß sich noch jemand darin aufhalten sollte.
    »Bitte, Herr«, sagte ich in einem stillen Gebet, »wenn doch, mach, daß sie noch leben.« Bei meiner augenblicklichen Verfassung konnte ich nur den Anblick einer einzigen Leiche pro Tag vertragen.
    Ich steckte den Schlüssel ins Schloß.
    Ich drehte den Knauf und war überrascht, wie lautlos die Tür aufging. Dies war keine knarrende Tür – eine stillschweigende Huldigung an die Qualität der Handarbeit eines anderen Zeitalters.
    Verschüchtert stand ich in der halboffenen Tür.
    Während sich das Tageslicht langsam im Abend verlor, versuchte es mit geringem Erfolg, ein mehrfach verglastes, stark verschmutztes Fenster zu durchdringen, das sich am anderen Ende des Zimmers befand. Dieses wenige Licht, zusammen mit dem der Kerze, genügte mir, um ein Zimmer zu erkennen, das bis unter die Decke mit großen Holzkisten und Kartons unterschiedlicher Formen und Größen vollgestellt war. Kleinere Kunstgegenstände und unzählige goldgerahmte Gemälde lagen verlassen auf verschiedenen Sofas, Diwanen, Couches und Stühlen, die mit Bettlaken abgedeckt waren. Ein gräulicher Alptraum von einem Zimmer, das in den Staub vergangener Jahrzehnte eingehüllt war.
    Guter Gott! Während ich auf die Artefakte vor mir starrte, ging mir durch den Kopf, daß dieser Ort ein Miniaturmuseum sei. So großartige Schätze wie diese sollten ordentlich ausgestellt werden. Der Gedanke, daß es einem Publikum vorbehalten blieb, das aus Ratten, Mäusen und Spinnen bestand, war unerträglich!
    Ich war nun eher verärgert als verängstigt und fragte mich, ob es sich überhaupt lohnte einzutreten, als ich durch Zufall nach unten schaute und auf dem staubbedeckten Boden verblüffenderweise unmißverständliche Abdrücke sah, welche deutlich erkennen ließen, daß sie von Schuhen beider Geschlechter stammten.
    Ich ging hinein und folgte der Spur so mühelos wie ein Jäger, der einem Eselshasen in frischem Puderschnee nachspürt. Ich marschierte durch das Labyrinth von Kisten und Kartons, bis der verräterische Pfad hinter einer großen Holzkiste endete, die als Trennwand für das eiserne Feldbett dahinter diente. Selbst für Thackeray wäre es zu erkennen gewesen, daß die letzte Person, die sich in dieses Feldbett mit seinen zerknitterten Bettlaken und zerknüllten Kissen gelegt hatte, diesem Jahrhundert entstammte, nicht dem letzten.
    Ich hegte keinen Zweifel mehr daran, daß dies das Zimmer war, aus dem in der Nacht zuvor die Stimmen gedrungen waren. Eine Haarnadel, die halb versteckt unter dem Kissen lag, fiel mir ins Auge. Eine Flasche Wein, dreiviertelleer, stand auf einem kleinen Tisch neben dem Feldbett. Ein umgekipptes Glas schaute auf seinen zerbrochenen • Kameraden herunter, der auf dem Boden lag.
    Als ich das Fenster untersuchte, sah ich, daß in einer Ecke der Scheibe eine kleine Fläche vom Schmutz befreit worden war, was den Blick auf einen Teil der Gartenanlagen erlaubte. Während ich dort stand, verharrte eine Maus – vollkommen gleichgültig angesichts meiner Anwesenheit – lange genug zu meinen Füßen, um an einem Krümel zu knabbern, bevor sie ins Dunkel huschte. Ich hob die Überreste ihres Mahls auf und sah, daß es ein Kuchenrest war: alt, sicher, aber keine hundertfünfzig Jahre alt.
    Hier hatte also unser mysteriöser Besucher gewohnt, geschlafen und gegessen, wobei nichts darauf hinwies, daß sie – denn es konnte niemand anderes als die tote junge Frau gewesen sein – ein unfreiwilliger Gast gewesen war. Sicher, denn hätte sie gegen eine lange und gewaltsame Gefangenschaft schreiend protestieren wollen, dann wären ihre Rufe gehört worden. Warum war sie dann hiergeblieben? Und wie lange? Länger als vierundzwanzig Stunden, dessen war ich mir sicher, aufgrund der Überreste des Mahls und der braunhäutigen Apfelkerne, die verstreut auf einem kleinen Tisch neben dem Bett lagen. Aber warum wurde sie in einem unbenutzten Zimmer versteckt? Und auf wessen Geheiß? Erst jetzt wurde mir bewußt, daß Ermittlungen zur Aufklärung von Verbrechen eine recht frustrierende Beschäftigung sein konnten.
    Ich stellte die Kerze auf den Tisch, kniete mich nieder und fuhr mit einer Hand blind über den Boden unter dem Feldbett, in der Hoffnung, daß meine Finger etwas fühlen würden, was meine Augen nicht sehen konnten. Wenn ich nur den zweiten Ohrring dieses armen unglückseligen Geschöpfes finden würde, wäre das ein Beweis, der von jedem

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