Kein Fall für Mr. Holmes
bis ich komme.«
»Das wird ihnen mit Sicherheit gefallen. Und wo gehst du hin?«
»Zu Dr. Morley«, antwortete ich. »Ich möchte herausfinden, wie sehr er wirklich unter dem Wetter leidet. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er vom Dinner fernbleibt.«
Sie trat mit einem fragenden Blick einen Schritt zurück.
»Ach, komm schon, du hast doch etwas vor. Was soll das alles?«
Bevor ich Zeit hatte zu antworten, schloß Hogarth, nachdem er sich aus dem Speisezimmer verabschiedet hatte, die Tür hinter sich und kam näher. »Sie wollten mich sprechen, Mrs. Hudson?« flüsterte er in einem überaus vertraulichen Tonfall.
Am Glanz in seinen Augen konnte ich erkennen, daß er recht ergriffen davon war, Teil eines geheimen Triumvirats zu sein.
»Ja, Hogarth, das wollte ich«, antwortete ich und zog ihn näher heran. »Inspektor Thackeray wird in der nächsten Stunde am Hintereingang eintreffen. Es ist wichtig, daß niemand von seiner Ankunft erfährt, außer Mary.«
»Ich verstehe vollkommen, Madam«, erwiderte er, wobei er versuchte, seine Aufregung zu verbergen. »Gibt es etwas Bestimmtes, was ich tun soll?«
»Geben Sie ihm nur jede mögliche Unterstützung«, antwortete ich. »Wenn alles wie geplant verläuft, werden wir das düstere Geheimnis noch heute abend lüften. Wenn nicht, so fürchte ich, werde ich mich vollkommen zur Närrin machen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Hudson, alles wird gut verlaufen«, lautete die beruhigende und entschiedene Antwort des ehrwürdigen Herrn. »Aber ich muß zurück.
Sie werden sich fragen, wo ich bin, Sie verstehen. Viel Glück«, flüsterte er und schloß die Tür hinter sich.
»Vielleicht erzählst du mir nun endlich mal, was genau hier vor sich geht!« rief eine frustrierte Violet und stampfte verärgert auf den Boden.
»Es tut mir leid, Violet, wir haben einfach nicht die Zeit dafür«, antwortete ich und warf einen argwöhnischen Blick zur Tür des Speisezimmers. »Sie könnten jede Minute herauskommen. Bitte, tu einfach, um was ich dich gebeten habe.«
»Nun gut«, lautete die verschlossene Antwort. »Aber wenn ich Dr. Watson wäre…« Sie murmelte weiter vor sich hin, während sie auf den Hacken kehrtmachte und auf dem Flur davonstürzte.
Während ich insgeheim Mitgefühl für meine alte Freundin verspürte, so hatte es doch seit meiner Rückkehr nur sehr wenig Gelegenheit gegeben, sie mit den Antworten auf die vielen Fragen vertraut zu machen, die bisher ein Rätsel geblieben waren.
Daisys quälend schleppende Gangart hatte sich im nachhinein als Segen herausgestellt, da sie mir genügend Zeit verschaffte, im Geiste langsam, aber sicher alle losen Enden der Geschichte ordentlich zusammenzufügen. Während ich bereitwillig zugebe, daß es bei dem Fall noch gewisse Aspekte gab, die ich der Vermutung überlassen mußte, blieb ich gänzlich überzeugt, daß ich nun das Warum, Wie und Wer in der Hand hatte.
»Dr. Morley?«
Keine Antwort.
Da die Tür angelehnt war, stieß ich sie auf, steckte meinen Kopf um die Ecke und rief nochmals: »Dr. Morley, geht’s Ihnen gut?«
»Ah, Mrs. Hudson? Bitte, kommen Sie herein.«
Ich betrat ein spärlich eingerichtetes Zimmer, in dem der Kamin die einzige Lichtquelle war. Zwei Ohrensessel, von denen einer vom Doktor besetzt war, standen vor den tanzenden Flammen, während düstere Schatten über sein Gesicht flackerten. Eine Whisky-Karaffe, die auf einem kleinen Beistelltisch neben dem Sessel stand, fing den Schein des Feuers mit dem Prisma ihres geschliffenen Glases ein und produzierte lautlose Farbexplosionen.
Während die eine Hand den Drink fest umklammerte, wies mir die andere einen Platz im gegenüberstehenden Sessel.
»Sir Charles sagt, daß Sie sich nicht gut fühlen«, bemerkte ich und nahm meinen Platz im Sessel ein.
Eine kleine Spur von einem Lächeln erschien. »Immer noch die Lady mit der angeborenen Neugier für alles Medizinische, wie ich sehe«, meinte er mit Bezug auf unsere erste Begegnung und fügte mit einem leichten Klaps auf seinen Magen hinzu: »Um ehrlich zu sein, ich leide an nichts anderem als an einer kleinen Verdauungsstörung, Mrs. Hudson. Dennoch, ich weiß Ihre Anteilnahme zu schätzen.«
»Ich dachte, Sie leiden vielleicht statt dessen unter einem Schuldgefühl«, erwiderte ich ruhig.
Es war keine Reaktion zu erkennen, nicht einmal ein Zucken der Augenbrauen. Seine einzige Reaktion bestand darin, sein Glas aufzufüllen, bevor er schlicht und einfach und beinahe gefühllos
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