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Kein Fall fuer Wilsberg

Kein Fall fuer Wilsberg

Titel: Kein Fall fuer Wilsberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kehrer
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Länge. »Dürfte mir ein paar Nummern zu groß sein.«
    »Für eine Nacht wird’s reichen, meinst du nicht?«
    »Von mir aus.«

    Sein Gesicht war krebsrot, er hatte meinen gestreiften Schlafanzug zweimal umgeschlagen, und die Unterkante des Bademantels kratzte am Teppich.
    »Wie sehe ich aus?«
    »Wie der Zwerg Bombur in Tolkiens Der kleine Hobbit.«
    Er lachte. »Genauso fühl ich mich auch.«
    »Möchtest du etwas essen? Ich wollte mir gerade einen Toast mit Schinken und Spiegeleiern machen.«
    »Nutella wäre mir lieber.«
    »So etwas führe ich nicht.«
    »Dann nehme ich das Gleiche.«
    Kiki hatte sich in ihr Schlafzimmer/mein Arbeitszimmer verzogen, und so hatten wir die Küche für uns allein.
    Sein Appetit wuchs beim Essen, was zur Folge hatte, daß ich insgesamt ein halbes Toastbrot, jede Menge Schinken aus eigener Schlachtung (von einem Freund aus den Baumbergen) und sechs Eier (von freilaufenden Hühnern) verbrauchte.
    Als er mit einem Stück Toastbrot den letzten Rest Ei vom Teller geschabt hatte, sagte er: »Ich komm nicht drüber weg.«
    »Tom?« gab ich ihm das Stichwort.
    »Na klar, Mann. Wo leben wir denn? Münster ist doch nicht die Bronx.«
    »War er dein Freund?«
    »Was ist schon ein Freund? Stricher haben keine Freunde. Du stehst gemeinsam auf der Straße und bietest deinen Arsch an. Das verbindet. Manchmal, wenn nichts los war, sind wir zusammen zu McDonald’s gegangen. Aber ein Freund?«
    »Ist für mich jemand, dem man persönliche Sachen erzählt. Welche Probleme man hat, zum Beispiel.«
    »Probleme!« Er gluckste höhnisch. »Das ganze Leben ist ein Problem. Das fangt damit an, daß du nicht weißt, wo du schlafen kannst. In letzter Zeit hatte ich Glück, weil die Bude von meinem Bruder leer stand. Den haben sie wegen Drogenhandel hochgenommen.
    Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, wenn sich diese Kerle an dir aufgeilen, wenn sie dich mit ihren schmierigen Pfoten begrapschen. Und du mußt so tun, als würde dir das Spaß machen. ›Gefällt dir das?‹ fragen sie dich dauernd, und du mußt sagen: ›Ja, super, geil.‹ Dabei wollen die meisten gar keine schwulen Jungs, die stehen auf Heteros, das macht sie besonders an. Und wenn sie soweit sind, dann sollst du ihnen einen blasen, oder sie packen ihre Vaselinedose aus. Das Ganze am liebsten ohne Kondom.«
    »Machst du das mit?«
    »Ohne Gummi kostet hundert extra. Das ist das Gesetz des Marktes. Am Ende macht da jeder mit.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Du bist bereit, für hundert Mark dein Leben aufs Spiel zu setzen?«
    »Ich muß verdienen, Mann. Ich kann nicht zum Sozialamt gehen und mir ‘nen Scheck abholen.«
    »Was ist denn mit deinen Eltern?«
    Er schnitt eine Grimasse. »Erwähn das Wort nicht in meiner Gegenwart. Mein Vater ist ein Säufer und meine Mutter eine dumme Nudel, die sich die Launen des Alten gefallen läßt. Wenn er besoffen ist, verprügelt er alles, was ihm in die Quere kommt und sich nicht wehren kann, in erster Linie meine Mutter, aber auch die Kinder. Ich hab mal gewagt, ihm zu sagen, daß er sie in Ruhe lassen soll, da hat er mir so eine verplättet, daß der Kiefer angebrochen war. So ein Schwein ist das.«
    »Warum macht deine Mutter das mit?«
    »Weil sie blöd ist. Katholisch natürlich auch, ›bis daß der Tod euch scheidet‹ und so. Dabei gibt’s doch heute viele Möglichkeiten, Frauenhäuser, was weiß ich. Aber sie bleibt da und läßt ihre Wut an den Kleinsten aus. Ich habe noch fünf Geschwister, zwei ältere und drei jüngere. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet, mit sechs, sieben Leuten auf engstem Raum zusammenzuleben? Der Alte hat sich irgendwann um seinen Job gesoffen, und wir mußten raus aus unserer Wohnung, in den Sozialen Brennpunkt nach Berg Fidel. Zweieinhalb Zimmer für sieben Personen, der reinste Horror. Mit zwölf bin ich zum ersten Mal abgehauen, ich hab mich vierzehn Tage über Wasser gehalten mit kleinen Diebstählen im Supermarkt und einem Packen Zeitungen unter der Brücke. Dann haben sie mich gekascht. Mit dreizehn bin ich in ein Heim für Schwererziehbare gekommen. Aber auch da habe ich es nicht lange ausgehalten. Diese Sozialarbeiter machen auf Kumpel, aber beim ersten Konflikt flippen die aus. Wer ein paar Jahre da arbeitet, ist krank im Kopf, völlig fertig. Ich hab mir das eine Zeitlang angeguckt und dann den Abflug gemacht. Drei Monate später war ich im nächsten Heim. Eine richtige Karriere ist das. Du steigst auf in Häuser mit immer dickeren

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