Kein Fall fuer Wilsberg
abzuhauen!« knurrte Koslowski. »Ich war mal Westfialenmeister im Fünfkampf.«
Er blieb auf Tuchfühlung mit Philipp, ich hinkte hinterher. Nach etwa fünfzig Metern, die durch kratziges Gebüsch führten, kamen wir zu der Stelle, an der der Maschendrahtzaun aufgeschnitten war. Nur wenn man genau hinsah, konnte man die Bruchstellen erkennen.
Philipp klappte den Zaun nach innen und kletterte hindurch, dann folgte Koslowski, der natürlich hängenblieb, und am Ende kam ich.
In einem der Gartenhäuschen brannte noch Licht, und man hörte Männergesang der untersten Kulturstufe. Wir schritten im Zickzackkurs über die sorgsam geharkten Wege, vorbei an den mit allerlei Kitsch verunstalteten Lauben und den garantiert unkrautfreien Blumenbeeten.
»Ich habe ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, aber er muß hier sein«, flüsterte Philipp. »Die Laube gehört seiner Oma. Die liegt mit einem Schlüsselbeinbruch im Krankenhaus.«
Die Laube sah unscheinbarer aus als die anderen. Kein Dach im Haziendastil und auch kein Schiffesteuerrad neben dem Eingang. Ein schlichtes Holzhäuschen mit einer ebenso schlichten Tür und zwei kleinen Fenstern. Ich guckte durchs Fenster, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
Philipp klopfte an die Tür. »Tom?« Keine Antwort.
Die Tür hatte einen ganz normalen Türgriff. Er drückte ihn nach unten, und die Tür ging auf. Philipp steckte den Kopf hinein. »Tom?«
Schnell zog er den Kopf wieder heraus. »Was ist das?«
»Was?« fragte ich.
»Dieser Gestank.«
Koslowski und ich schnupperten am Türspalt.
»Leichengeruch«, sagte Koslowski. Er zückte seine Taschenlampe. »Hast du ein Taschentuch für mich?«
Ich reichte ihm ein Tempo und drückte mir selbst eins auf die Nase. Dann gingen wir hinein. Der Geruch war bestialisch und das Papiertaschentuch nur ein schlechter Schutz. Koslowski leuchtete den Boden ab und dann das Bett. Nichts. Aber die hintere Wand war voller Blutspuren. Der Kegel der Taschenlampe wanderte nach unten. Ein Junge, etwa so alt wie Philipp, saß in der Ecke. Auf seinem Gesicht krabbelten ungefähr fünfzig Fliegen.
»Ist er das?« fragte ich nach hinten. Philipp war in der Tür stehengeblieben.
»Ja.«
Ich ging schnell nach draußen und atmete zehnmal tief ein und aus. Dann steckte ich mir mit zitternden Fingern einen Zigarillo an.
Koslowski blieb zwei Minuten länger. Er wirkte vollkommen ruhig und ließ den ehemaligen Bullen raushängen. »Sie haben ihn abgestochen. Eine Drecksarbeit. Es hat ziemlich lange gedauert, bis er gestorben ist. Vielleicht wollten sie etwas aus ihm rauskriegen.«
Philipp zitterte am ganzen Körper. »Was soll der Scheiß, Mann. Tom hat niemandem was getan.«
Ich hatte nachgedacht. »Wir müssen die Polizei holen.«
Philipp leckte sich über die Lippen. »Ohne mich. Ich will mit denen nichts zu tun haben. He, ich bin von zu Hause abgehauen. Die stecken mich in ein beschissenes Erziehungsheim.«
»Es gibt da nur ein Problem«, sagte ich langsam. »Tom wußte etwas, was für jemand anderen sehr unangenehm ist. Könnte doch sein, daß du auch auf deren Liste stehst.«
Er lachte nervös. »Und wo soll ich hin?«
»Du kannst ein paar Tage bei mir bleiben.«
Er guckte von mir zu Koslowski und wieder zurück. »Wohnst du mit dem da zusammen?«
»Nein, ich wohne allein. Abgesehen von meiner Schwester, die mir gerade einen Besuch abstattet. Aber die ist ungefährlich.«
Er überlegte. »Und keine Gegenleistung?«
»Ich steh nicht auf Jungs, wenn du das meinst.«
»Okay, du bist anscheinend in Ordnung.«
Ich gab ihm meine Visitenkarte, die Hausschlüssel und ein paar Zeilen für meine Schwester.
»Ganz schön mutig, dem Jungen die Schlüssel zu geben«, sagte Koslowski, als wir allein waren. »Hast du keine Angst, daß er dir die Bude ausräumt?«
»Erstens habe ich kein Bargeld zu Hause, zweitens ist mein Fernseher viel zu schwer für ihn, und drittens gibt es immer noch meine Schwester.«
Auf dem Parkplatz vor der Kleingartenanlage standen zwei Telefonzellen. Während wir gemächlich auf sie zuschritten, sagte ich: »Ich will es auf die weiche Tour probieren. Kann doch sein, daß Philipp irgendeine Bemerkung Toms aufgeschnappt hat, deren Bedeutung ihm unklar ist. Wenn ich sein Vertrauen gewinne, stoße ich vielleicht auf etwas, das mich weiterführt.«
Eine der Telefonzellen nahm tatsächlich noch bares Geld. In dem überraschenderweise ebenfalls intakten Telefonbuch suchte ich die Privatnummer von Klaus
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