Kein Fleisch macht gluecklich
informiere mich derweil über das aktuelle Programm. Der Workshop zum Poststrukturalismus fällt aus. Anarchie und Bildung ist kein Widerspruch. Aus der kleinen Halle der Burg vernehme ich leise Klaviermusik und die sanften Klänge von Gary Jules’ »Mad World«. Ich lasse meinen Blick über den grasbewachsenen Innenhof der Burg schweifen und genieße den beschaulichen Moment. Dann öffne ich die Tür zur Halle. In die melancholische Musik mischt sich die Geräuschkulisse Tausender Puten. Es ist ein Video der Tierrechtsorganisation PETA, das Bilder aus der »verrückten Welt« der Tierhaltung zeigt. Ich lausche lieber einer Diskussion unter freiem Himmel und lerne: Fleischverzicht ist immer Herrschaftskritik. Es geht nicht einfach darum, das Leiden von Tieren zu vermeiden, sondern jedwede Herrschaft über andere. Politisch linke Veganer haben es anscheinend nicht leicht. Die »Fleisch-Linken« bremsten die Arbeit der Tierbefreier immer wieder mit Diskussionen, wird geklagt, und befänden, veganes Leben sei bourgeois. Denn der Arbeiter, mit dem die Linke ja solidarisch ist, isst traditionell Fleisch. Ich erfahre vom Anti-Antispe-Problem. So gibt es innerhalb der linken Szene immer wieder Kritik am Antispeziesismus, also der Kritik am Speziesismus, der die ungleiche Behandlung von Lebewesen allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Spezies rechtfertigt. Die Wortwahl der Tierbefreier klingt für mich speziell. Fische werden nicht gefischt, sondern ermordet, statt Fleisch spricht man bzw. mensch von Leichenteilen. Geschlechtsneutrale Sprache ist hier sowieso üblich. Auf die Klotüren, wo sonst »Herren« und »Damen« steht, hat jemand Aufkleber mit Feldern zum Ankreuzen geklebt: Angekreuzt wurden aber weder »Male« noch »Female«, sondern »Fuck you!«. Manchmal fühle ich mich hier richtig rückständig.
Antitierwas?
Um zehn Uhr am nächsten Morgen eile ich zum Vortrag über einen Antitierbenutzungshof. Doch zuvor stimmen die rund 40 Anwesenden über ein Statement des Tierbefreierkongresses zum neuen Hühner-Mega-Schlachthof in Wietze bei Celle ab. Die Schlussredaktion erfolgt – eine grausige Vorstellung für jeden Autoren – im Kollektiv: »Schreib doch lieber ›die Befreiung von Tieren‹ als ›der Tiere‹.« Wedelnde Hände zeigen Zustimmung an. Endgültig abgestimmt wird anschließend mit »dafür ohne Vorbehalt«, »dafür mit Vorbehalt«, »dagegen, aber man will sich nicht in den Weg stellen« oder mit Veto. Der Einzelne hat im Kollektiv erstaunlich viel Macht. Endlich beginnt der Vortrag. Anders als auf manchen Gnadenhöfen wie dem aus dem Fernsehen bekannten Gut Aiderbichl werden auf dem Antitierbenutzungshof Tiere nicht für Kutschfahrten, zum Reiten, für Streichelzoos oder sonst wie »benutzt«. Die Haltung der Rednerin erscheint mir recht radikal: Sogenannter Tierschutz sei abzulehnen, das sei ein Zeichen für Herrschaftsverhältnisse. Verbesserungen wie Freilandhaltung bei Hühnern verfestigten nur die Tierausbeutung. Derlei Maßnahmen seien bloß ein Feigenblatt für alle Tierbenutzer, die Hunde und Katzen süß fänden, aber problemlos Schwein, Kuh und Huhn verspeisten. Auf dem Antitierbenutzungshof wandern selbst die wenigen Eier der Hühner und Gänse sowie die Wolle der Schafe auf den Müll. Die Rednerin empfindet es als respektlos, sich daraus Socken zu stricken, denn hinter jedem Bündel Wolle stecke noch Gewalt. Darüber muss ich erst mal nachdenken. Berücksichtigt man, dass Schafe so abhängig gezüchtet wurden, dass sie geschoren werden müssen, und die Schur oft sehr brutal vor sich geht, leuchtet mir ihre Haltung ein: Tiere und ihre Produkte werden nicht benutzt. Punktum. Andere sind da nicht so strikt, zumindest beim »Containern«. Diese sinnvolle Verwertung noch essbarer Lebensmittel, die Supermärkte oder andere Geschäfte als Abfälle in Container werfen, ergänzt für manche bloß den Einkauf, für andere ist es gelebte Kritik an der Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Hier wird heiß darüber diskutiert, ob auch unvegane Produkte wie Haselnusstafeln oder gar »Leichenteile« – zumindest für Hund oder Katz – containert werden dürfen. Die Vortragende fordert, nur vegan zu containern, denn »Erbsen können ohne Gewalt erzeugt werden, Milch nicht«. Lauch auch, basta!
Gesinnungsolympiade
Im nächsten Vortrag erfahre ich, dass es noch weitaus strengere Ernährungsformen gibt als die vegane: Rohkost und Urkost, die beide aber nicht unbedingt vegan sein müssen, dann der
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