Kein Fleisch macht gluecklich
Fruta- oder Fruktarismus, bei dem nur Pflanzenteile gegessen werden, ohne die Pflanze zu verletzen oder zu töten, und schließlich die Lichtkost, bei der es nur noch »Prana«, also Lebensenergie pur aus feinstofflicher Lichtnahrung, gibt. Wie lange die Lebensenergie strikter Lichtköstler anhält, ist gelinde gesagt umstritten. Rohköstler muten dagegen richtig bodenständig an. Sie essen nichts über 42 Grad Erhitztes, normalerweise. Es soll jedoch auch hier gelegentlich zu Fressattacken mit veganem Fast Food kommen, heißt es. So kann selbst veganes Essen manchem ein schlechtes Gewissen machen. Und ein schlechtes Gewissen wollen Rohköstler anderen offenbar häufig machen, jedenfalls beklagt die Vortragende die »penetrante Propaganda von Rohköstlern«, der sie als Veganerin oft ausgesetzt sei. Von Rohkostpropaganda bin ich glücklicherweise noch völlig verschont, wo ich doch nicht mal Veganer im Bekanntenkreis habe.
Die PowerPoint-Präsentation dreht sich nun um die jahrhundertealte asiatische Tradition der Fleischalternativen – nicht um »Herrgottsbscheißerle«, wie die schwäbischen Maultaschen auch heißen, die in der Fastenzeit »heimlich« den Fleischhunger stillen sollten, sondern um echte vegetarische oder vegane Alternativen. Ein halbes veganes »Hähnchen« aus Sojaprotein mit vorbildsnaher genoppter Oberfläche dreht sich dazu auf der Leinwand und sorgt nach einer Weile für Unmut. Ein Zuhörer drängt, das Bild der Hendl-Attrappe doch endlich wegzunehmen. »Schön, dass dir das Bild nicht gefällt«, lobt die Vortragende besänftigend, muss sich aber weitere Kritik anhören: »Ich habe mich bei deinem Vortrag nicht so wohlgefühlt, der war so autoritär.« Vereinzelt wedeln zustimmende Hände. Der Umgang der Vortragenden mit dem Publikum und umgekehrt ist für mich ungewohnt. Bald zerfällt die Veranstaltung durch inhaltsarme Beiträge wie die endlos langen Abfolgen sich aufeinander beziehender Diskussionsbeiträge in Internetforen: »Ich habe mich nur gemeldet, um anzuzeigen, dass sich welche gemeldet haben.«
Frustrationen
Ich bin froh, draußen auf einer Wiese das gekochte (!) vegane Essen genießen zu können. Ein junges Mädchen sitzt, wie schon beim Vortrag, mit einer auffallend schön gewachsenen Möhre herum, ohne daran zu knabbern. Ich ertappe mich bei dem albernen Gedanken, dass es sich dabei um ein von Frutariern aus der Küche befreites Wurzelgemüse handeln könnte. Eine etwas ältere Tierbefreierin erklärt sich bereit, mir ein paar Fragen zu den Absichten der Anwesenden zu beantworten. Ihr Ziel sei die vollständige Befreiung der Tiere aus der Verfügungsgewalt des Menschen und die Befreiung aller fühlenden Wesen von jeglicher Herrschaft. Leider seien sie diesem Ziel in all den Jahren noch nicht wirklich näher gekommen. Ein Weg der kleinen Schritte wäre dennoch nichts für sie. Warum außer uns kaum Ältere anwesend wären, will ich noch wissen. Irgendwann seien die Leute frustriert und zögen sich ins Private zurück, vermutet sie. Den Rückzug ins Private strebe ich jetzt auch erst mal an. Wenn ich mich als Veganer bislang am Rande der Gesellschaft gefühlt habe, konnte ich hier immerhin feststellen, dass ich von diesem Rand noch ein ganzes Stück entfernt bin.
Absicht war es sicher nicht, als ich beim Einsteigen ins Auto eine Schnecke zertrete. Im Grunde kann ich vielen Argumenten der Tierbefreier zustimmen, dennoch bin ich frustriert, hier trotz ähnlicher Gesinnung keine Mitstreiter gefunden zu haben. Mich strapazieren die pauschale Herrschaftskritik und die anscheinend gänzlich kompromisslose Haltung, die mir wenig Erfolg versprechend erscheint. Bei mir provoziert sie sogar den innigen Wunsch, mir im nächsten Supermarkt eine Wurst zu kaufen, eine echte, aus Fleisch! Da der Laden bereits geschlossen hat, stellt sich mir die Gewissensfrage dann doch nicht. Am darauffolgenden Tag halten wir bei McDonald’s an der Autobahn, natürlich nur für einen Kaffee mit Sojamilch. Ein Ortsschild weist nach Wietze, wo der größte Schlachthof Europas mit 27000 Hühner-Schlachtungen pro Stunde entstehen soll.
Butenland
Wer auf dem Land aufgewachsen ist, hat ein anderes Verhältnis zu Tieren, nicht so »sentimental« wie der Städter, heißt es gerne. Ich kenne jedoch einige Vegetarier, die ihren Ernährungsstil gerade damit begründen, dass sie auf dem Land aufgewachsen sind, mit einem Bauernhof in der Familie oder Nachbarschaft. Nun habe ich von einem ehemaligen
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