Kein Freibier für Matzbach
Schäfer sagte erschöpft: »Gaaah!« Dann erschien ein kleines weißes Schaf, das sich schüttelte und zu den anderen lief. Der Schäfer rieb sich die Augen; dabei glitt die Kapuze vom Kopf. Er trug einen Walkman. Als er die Kapuze wieder überstreifen wollte, lösten sich die Kopfhörer; deutlich war Mick Jaggers Stimme mit »I can’t get no satisfaction« zu hören. Der Schäfer befestigte Kopfhörer und Kapuze wieder und blickte hinter Yü her.
»Chinese, was?« sagte er. »Scheißausländer. Sollen erst mal Deutsch lernen.«
Abends saßen Kimberley, Yü und Matzbach in einer Kneipe und aßen. Um sie her eine Zone des Schweigens: Die Einheimischen saßen, wenn überhaupt, an entfernten Tischen und starrten immer wieder zu ihnen herüber, die meisten – ausschließlich Männer – standen am Tresen, in ungemütlichen Haltungen, immer halb mit den Augen bei den Fremden. Bisweilen brach einer der Einheimischen plötzlich auf, kehrte mit neuen Gästen zurück; der Wirt telefonierte mehrmals.
Nach dem Essen, als der Wirt mit beinahe spitzen Fingern den Tisch abgeräumt und Kaffee gebracht hatte, stand Matzbach auf, räusperte sich dröhnend und knallte den geldgefüllten Aktenkoffer auf den Tisch.
»Ist einer der Anwesenden imstande, uns bei einem Problem zu helfen? Wir kriegen die Schlösser nicht auf.«
Nach kurzem Getuschel kamen zwei Männer zu ihnen; der Rest der Kneipe sah stumm zu. Die beiden fingerten am Koffer herum und hatten keine Schwierigkeiten, ihn zu öffnen. Dann erstarrten sie, wie die anderen. Jemand sagte »Ahhh!«, ansonsten war die Stille vollkommen.
»Danke sehr, meine Herren!« Matzbach lächelte, ohne die Zähne sehen zu lassen. »Ein bißchen Kleingeld ... Darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Matzbach; ich bin Anwalt und vertrete diese junge Dame aus Amerika. Wir haben den letzten Willen eines Toten zu erfüllen, Alfred Hagenbusch.«
Zwei oder drei der Anwesenden wiederholten den Namen, teils fragend, teils staunend. Der Wirt kniff die Brauen zusammen.
»Alfred Hagenbusch hat, wie einige von Ihnen vielleicht von den Eltern wissen, anno achtundzwanzig Deutschland verlassen, mit achtzehn Jahren. Er ist in die USA gegangen, nach Amerika, hat gute Geschäfte gemacht, eine nette Frau geheiratet, Kinder gezeugt und ist vor einem halben Jahr gestorben. Eine seiner Töchter hat einen schwarzen Arzt geheiratet; diese nette junge Dame hier, Mrs. Kimberley Symonds, ist die Enkelin von Alfred Hagenbusch.«
Großes Gezischel, Getuschel, Tamtam; einige der verschlossenen Gesichter begannen sich aufzuhellen. Ein paar Leute traten sogar einen Schritt näher. Yü verzog keine Miene, er hielt die Hände auf dem Tisch verschränkt. Kimberley lächelte in die Runde; Matzbach war ganz leutselig und verbindlich.
»Herr Hagenbusch hat, wie wir dank der Auskünfte von, eh, Behörden erfuhren, keine unmittelbaren Verwandten mehr hier. Er hat aber in seinem Testament eine Summe von fünfzigtausend Mark hinterlassen, mit der Anweisung, in seinem ehemaligen Heimatort Nachforschungen anzustellen.«
Der Wirt klopfte auf den Tresen. »Eine Runde aufs Haus! Wer soll das Geld kriegen?«
»Entweder Verwandte ersten oder zweiten Grades, falls vorhanden. Oder gute Menschen.«
»Wer? Was?«
»Gute Menschen.« Matzbach lächelte ironisch. »Herr Hagenbusch hatte sehr genaue Vorstellungen, was ein guter Mensch nach seiner Meinung sein sollte. Jemand, der für die Öffentlichkeit arbeitet, den Ort nach außen vertritt, sich privat nichts zuschulden kommen läßt und allgemein wegen seiner Tugend und Tüchtigkeit geachtet wird.«
»Fünfzigtausend!« sagte jemand ehrfürchtig.
»Hat Hagenbusch das in Dollars oder in Mark hinterlassen?« sagte der Wirt.
»In Dollars. Es kam nicht glatt hin, deshalb hat sich Mrs. Symonds freundlich bereit erklärt, es aufzustocken und eine runde deutsche Summe daraus zu machen. Allerdings will sie einen Teil der Summe, etwa zehn Prozent, als Belohnung aussetzen.«
»Belohnung wofür?« sagte ein korpulenter Mann.
»Für die Ermittlung des guten Menschen.« Matzbach breitete die Arme aus. »Es ist ja so, daß wir hier niemanden kennen. Wir sind also auf Ihre Mitwirkung angewiesen – Ihre Liebesdienste sozusagen, nicht wahr, Mrs. Symonds?«
Sie nickte lächelnd. »Let me not«, sagte sie, »to the marriage of true minds admit impediments. Love is not love which alters when it alteration finds, or bends with the remover to remove.«
»Eben. Jeder, der uns helfen kann, soll
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