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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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ausmerzen. Olivia wusste das. Sie konnte Candi in ein Hinterzimmer sperren, die Tür verschließen, den Schlüssel vernichten. Sie hätte es fast geschafft, aber so sehr sie sich auch dagegen stemmte, etwas hatte sie immer einen winzigen Spalt breit offen gehalten.
    Ihr Kind.
    Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Oh Gott, dachte sie. Arbeitete ihre Tochter hier?
    Bitte nicht.
    Es war vier Uhr nachmittags. Noch viel Zeit bis zum mitternächtlichen Treffen. Sie konnte noch woanders hingehen, vielleicht bei Starbucks einen Kaffee trinken oder sich ein Motelzimmer nehmen und ein paar Stunden schlafen. Sie hatte im Flugzeug ein bisschen gedöst, war aber immer noch entsetzlich müde.
    Bei der Landung hatte Olivia im FBI-Headquarter angerufen und gesagt, dass sie Adam Yates sprechen wollte. Als sie ins Büro des SAC weiterverbunden wurde, hatte sie aufgelegt.
    Yates war also echt. Und Dollinger wahrscheinlich auch.
    Das bedeutete, dass zwei FBI-Agenten versucht hatten, sie zu ermorden.
    Zu einer Festnahme oder Verhaftung würde es nicht kommen. Dafür wusste sie zu viel.

    Wieder gingen ihr Clydes letzte Worte durch den Kopf. »Jetzt sag mir doch endlich, wo es ist …«
    Langsam ergab das Ganze Sinn. Es waren Gerüchte umgegangen, dass Clyde Videos gemacht hatte, um Leute zu erpressen. Wahrscheinlich war er dabei an den Falschen geraten – entweder an Yates oder an jemanden, der ihm nahestand. Und irgendwie musste die arme Cassandra darin verwickelt gewesen sein. Hatte sie das Video gehabt? War sie darauf zu sehen gewesen?
    Als sie so dastand, sah sie das Schild: EAGER BEAVER BUFFET 4.99$! Olivia nickte.
    Das war’s. Das musste es sein. Sie ging zum Eingang.
    Sie konnte auch warten und später wieder herkommen.
    Nein.
    Der Türsteher sah sie neugierig an. Frauen kamen nicht allein in solche Lokale. Alle Jubeljahre brachte ein Mann mal seine Freundin mit, die zeigen wollte, dass sie hip war. Vielleicht hatte sie auch lesbische Neigungen. Egal. Jedenfalls kam nie eine Frau allein.
    Als sie reinkam, wurde sie angestarrt, wenn auch längst nicht von so vielen Männern, wie man hätte erwarten können. Die Leute in solchen Läden reagierten nur sehr langsam. Die Luft war sirupartig und träge. Das Licht war schummrig. Unterkiefer hingen schlaff herunter. Die meisten Gäste hielten sie wohl für eine Tänzerin, die gerade Pause hatte, oder eine Lesbe, die darauf wartete, dass die Schicht ihrer Freundin zu Ende ging.
    Don’t You Want Me von The Human League lief über die Anlage. Der Song war schon ein alternder Klassiker gewesen, als Olivia noch getanzt hatte. Retro, dachte sie, aber sie hatte das Stück immer gemocht. Hier sollte der Text als erotische Anmache dienen, wenn man genau hinhörte, merkte man aber, wie Phil Oakey, der Leadsänger, einem den Schmerz und den Schock nahebrachte, den man empfand, wenn einem das Herz
gebrochen wurde. Der Refrain wurde nicht mit Lust, sondern fassungslos und ungläubig wiederholt.
    Olivia setzte sich in eine der hinteren Nischen. Im Moment waren drei Tänzerinnen auf der Bühne. Zwei starrten ins Nichts. Eine bearbeitete einen Kunden, täuschte Leidenschaft vor und forderte ihn auf, Dollarnoten in ihren G-String zu stecken. Der Mann tat ihr den Gefallen. Olivia sah sich das Publikum an, und ihr wurde klar, dass sich in den zehn Jahren, seit sie nicht mehr in solchen Läden aufgetreten war, nichts verändert hatte. Die Männer waren vom gleichen Schlag. Manche hatten leere Mienen. Manche grinsten glasig. Einige versuchten, großspurig dreinzublicken, als stünden sie irgendwie über dem Ganzen. Andere kippten aggressiv ihre Biere hinunter und starrten die Mädchen mit unverhohlener Feindseligkeit an, als suchten sie die Antwort auf die ewige Frage: »Soll das wirklich alles sein?«
    Die Mädchen auf der Bühne waren jung und auf Drogen. Das sah man. Zwei Brüder ihrer alten Mitbewohnerin Kimmy waren an einer Überdosis gestorben. Kimmy hatte keine Drogen in ihrer Umgebung geduldet. Also hatte Olivia – nein, Candi  – angefangen zu trinken, aber Clyde Rangor hatte ihr das verboten, als sie einmal torkelnd auf die Bühne gegangen war. Clyde als Drogenberater. Seltsam, aber wahr.
    Die Fettdünste des widerlichen Lunch-Buffets hingen in der Luft und überzogen alles mit ihrem Geruch. Wer aß dieses Zeug?, fragte sie sich. Hähnchenflügel aus der Regierungszeit von Jimmy Carter. Hot Dogs, die so lange im Wasser lagen – tja –, bis sie alle waren. Pommes Frites, die man

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