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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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vor Fett kaum anfassen konnte. Dicke Männer umkreisten die Platten und stapelten schwindelerregend hohe Berge auf ihre Styropor-Teller. Selbst im Halbdunkel konnte Olivia beinah sehen, wie ihre Arterien verkalkten.
    Manche Stiptease-Lokale nennen sich »Herren-Clubs«, und
die Gäste tragen Anzüge und benehmen sich, als wären sie etwas Besseres. Hier im Eager Beaver zierte man sich nicht so. Die Gäste hier hatten mehr Tätowierungen am Körper als Zähne im Mund. Gelegentlich kam es zu Schlägereien. Die Rausschmeißer hatten mehr Bauch als Muskeln, denn Muskeln waren nur Angeberei, und diese Typen konnten einem bei Bedarf richtig einen verpassen.
    Olivia war nicht verängstigt oder eingeschüchtert, wusste jedoch nicht, was sie hier sollte. Die Mädchen auf der Bühne wechselten. Die Tänzerin auf der Eins ging von der Bühne. Ein quirliges junges Mädchen rückte nach. Die war niemals achtzehn. Sie bestand nur aus Beinen und bewegte sich wie ein Fohlen auf ihren Stöckelschuhen. Ihr Lächeln wirkte fast aufrichtig, so dass Olivia annahm, dass man ihr noch nicht alles Leben ausgetrieben hatte.
    »Was kann ich Ihnen bringen?«
    Die Kellnerin musterte Olivia argwöhnisch.
    »Eine Coca-Cola bitte.«
    Sie ging. Olivia behielt das quirlige junge Mädchen im Auge. Irgendetwas an ihr erinnerte sie an die arme Cassandra. Wahrscheinlich war es einfach das Alter. Cassandra war viel hübscher gewesen. Während sie die drei Mädchen auf der Bühne ansah, ging ihr eine Frage durch den Kopf:
    War eins dieser Mädchen ihre Tochter?
    Sie suchte in ihren Gesichtern nach Ähnlichkeiten, fand aber keine. Das hatte natürlich nichts zu sagen. Das war ihr klar. Die Kellnerin brachte die Cola. Olivia ließ sie einfach stehen. Sie würde nicht aus so einem Glas trinken.
    Nach zehn Minuten wechselten die Mädchen wieder. Wieder kam eine Neue auf die Bühne. Wahrscheinlich fuhren sie eine Fünferschicht – drei Mädchen auf der Bühne, zwei hatten Pause. Und es wurde ziemlich gleichmäßig gewechselt. Konnte aber auch eine Sechserschicht sein. Sie dachte an
Matt und überlegte, wie er es schaffen wollte hierherzukommen. Er war so zuversichtlich gewesen – oder hatte er nur den starken Mann markiert, damit sie sich nicht zu viele Sorgen machte?
    Die Tänzerin auf der Zwei bearbeitete einen Kerl mit einem Toupet, das so übel aussah, als wäre es mit einem Reißverschluss befestigt. Wahrscheinlich erzählte sie ihm die allseits beliebte Geschichte, wie sie sich durchs College kämpfte. Warum Männer so auf Studentinnen standen, hatte Olivia nie begriffen. Suchten sie nach einem Anflug von Reinheit als Ausgleich für ihre schmutzigen Fantasien?
    Das Mädchen, das bei Olivias Ankunft auf der Eins getanzt hatte, kam hinter der Bühne hervor. Sie ging auf einen Mann zu, der einen Hähnchenflügel im Mund hatte. Der Mann ließ den Hähnchenflügel fallen und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Das Mädchen nahm den Mann bei der Hand und verschwand mit ihm in einer Ecke. Olivia wollte ihr folgen. Sie wollte sich alle Mädchen schnappen und sie nach draußen in die Sonne zerren.
    Sie hatte genug.
    Sie winkte der Kellnerin, dass sie die Rechnung bringen sollte. Die löste sich aus einer Gruppe lachender Stammgäste. »Drei fünfzig«, sagte sie.
    Olivia stand auf, griff in die Handtasche und zog einen Fünfer raus. Gerade wollte sie ihn der Kellnerin geben und diesen schrecklichen Ort verlassen, als die Tänzerinnen wieder wechselten. Ein neues Mädchen kam von hinten.
    Olivia erstarrte. Dann entwich ihrem Mund ein leises Stöhnen. Ein kurzes, leises, gequältes Stöhnen.
    Die Kellnerin fragte: »Miss, ist alles in Ordnung?«
    Das neue Mädchen auf der Drei.
    Es war Kimmy.
    »Miss?«

    Fast hätten Olivias Knie nachgegeben. Sie setzte sich wieder hin. »Bringen Sie mir noch eine Cola.«
    Sie hatte das erste Glas nicht angerührt, was die Kellnerin aber offenbar nicht störte. Olivia starrte einfach vor sich hin. Ein paar Sekunden gab sie sich den Gefühlen hin, die sie durchströmten. Am stärksten war natürlich die Reue. Und tiefe Trauer, Kimmy nach all den Jahren noch auf der Bühne zu sehen. Dazu kamen Schuldgefühle, weil Olivia sie hatte zurücklassen müssen. Aber sie freute sich auch, ihre alte Freundin zu sehen. Olivia hatte in den letzten Wochen auf verschiedenen Internet-Seiten nachgesehen, ob Kimmy noch tanzte. Sie hatte sie nicht gefunden und gehofft, dass das bedeutete, dass Kimmy nicht mehr im Geschäft war. Jetzt erkannte

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