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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Luft, bis er den Mut zusammenhatte, etwas zu sagen. »Es tut mir Leid«, stieß er dann hervor.
    Danach schwiegen beide eine Weile. Dann erwiderte Sonya. »Erzählen Sie mir, was wirklich passiert ist.«
    »Das habe ich schon. Vor Gericht.«
    »Erzählen Sie es noch mal. Alles. Von Anfang an.«
    Er versuchte es. Es dauerte lange. Sie schwieg. Als er fertig war, legte sie auf.
    Am nächsten Tag hatte sie wieder angerufen. »Ich will Ihnen von meinem Sohn erzählen«, hatte sie ohne Einleitung gesagt.
    Und das hatte sie getan.
    Inzwischen wusste Matt mehr über Stephen McGrath, als er wissen wollte. Er war nicht mehr nur irgendein Jugendlicher, der sich in einen Streit eingemischt hatte, ein Baumstamm, der auf die Schienen gefallen und Matts Leben aus der Bahn geworfen hatte. McGrath hatte zwei jüngere Schwestern, die ihn angehimmelt hatten. Er hatte gern Gitarre gespielt. Er war ein bisschen hippiemäßig drauf gewesen – das hatte er, sagte Sonya mit dem Anflug eines Lächelns, von seiner Mutter. Er war ein sehr guter Zuhörer gewesen. Das hatten seine Freunde immer wieder über ihn gesagt. Mit Problemen wären sie immer zu Stephen gegangen. Er hatte sich nie in den Vordergrund gedrängt, sondern war zufrieden gewesen, wenn er dabei war. Er hatte über Witze gelacht. Er war in seinem ganzen Leben nur einmal in Schwierigkeiten geraten – die Polizei hatte ihn und ein paar seiner Kumpel festgenommen, weil sie hinter der High School etwas getrunken hatten –, war aber nie in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen, nicht einmal als Kind, und schien fast schon panische Angst vor Gewalt gehabt zu haben.
    Im selben Telefonat hatte Sonya ihn gefragt: »Wussten Sie, dass Stephen keinen der Jungs kannte, die an dem Kampf beteiligt waren?«
    »Ja.«
    Da hatte sie angefangen zu weinen. »Und warum hat er sich dann eingemischt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Vor drei Jahren hatten sie sich zum ersten Mal hier im Newark Museum getroffen. Sie hatten Kaffee getrunken und kaum ein Wort gewechselt. Ein paar Monate später waren sie zum Mittagessen geblieben. Seitdem war es ein fester Termin: jeder zweite Donnerstagmorgen vor dem Hopper. Sie hatten beide nicht ein einziges Treffen verpasst.

    Anfangs hatten sie niemandem etwas davon erzählt. Sonyas Mann und ihre Töchter hätten es nicht verstanden. Schließlich verstand sie es selbst nicht. Auch Matt konnte sich nicht erklären, warum ihm diese Treffen so viel bedeuteten. Die meisten Menschen hätten wohl einfach unterstellt, er hätte Schuldgefühle, täte es ihretwegen, vielleicht als Wiedergutmachung oder dergleichen. Aber das war es ganz und gar nicht.
    Zwei Stunden lang – so lange dauerten ihre Treffen, fühlte Matt sich seltsam frei, weil er Schmerz, Leid und Kummer verspürte. Er wusste nicht, was sie aus den Treffen zog, nahm aber an, dass es etwas Ähnliches war. Sie unterhielten sich über jene Nacht. Sie unterhielten sich über ihr Leben. Sie unterhielten sich über die zaghaften Schritte und das Gefühl, der Boden könnte unter ihren Füßen jederzeit nachgeben. Sonya sagte nie: »Ich vergebe Ihnen.« Sie sagte nie, dass es ein Unfall und nicht seine Schuld gewesen wäre oder dass er seine Strafe verbüßt hätte.
    Sonya ging los. Matt schaute das Gemälde noch ein, zwei Sekunden an, dann folgte er ihr den Flur entlang. Sie gingen die Treppe hinab ins Atrium des Museums. Sie holten sich jeder eine Tasse Kaffee und setzten sich an den üblichen Tisch.
    »Na dann«, sagte sie. »Erzählen Sie mir, was los ist.«
    Das war keine Höflichkeitsfloskel, mit der sie das Eis brechen wollte. Es ging nicht um ein Mir-geht’s-gut-und-wie-geht’s-Ihnen? -Gespräch. Matt erzählte ihr alles. Er erzählte dieser Sonya McGrath Dinge, die er sonst niemandem erzählte. Er belog sie nicht, zensierte und beschönigte nichts.
    Als er fertig war, fragte Sonya: »Glauben Sie, Olivia hat eine Affäre?«
    »Die Indizien wirken ziemlich eindeutig.«
    »Aber?«
    »Aber ich habe gelernt, dass Indizien einem meistens nicht das ganze Bild zeigen.«

    Sonya nickte. »Sie sollten sie noch mal anrufen«, sagte sie.
    »Hab ich.«
    »Versuchen Sie’s im Hotel.«
    »Hab ich.«
    »Sie war nicht da?«
    »Sie hatte kein Zimmer gebucht.«
    »In Boston gibt es zwei Ritz-Carltons.«
    »Ich hab’s in beiden versucht.«
    »Ah.« Sie lehnte sich zurück und stützte das Kinn auf die Hand. »Dann sind Sie sicher, dass Olivia Sie in irgendeiner Weise belogen hat.«
    »Ja.«
    Sonya dachte

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