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Kein Friede den Toten

Kein Friede den Toten

Titel: Kein Friede den Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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nannten sie Lenny und George nach den beiden Charakteren in John Steinbecks Roman Von Menschen und Mäusen. Da mochte etwas dran sein – Cal war groß und unglaublich stark – doch Lennys Güte und Sanftheit gingen ihm vollkommen ab. Er war nicht nur körperlich, sondern auch seelisch nicht zu erschüttern. Wie Lenny hätte es auch Cal passieren können, dass er ein Kaninchen beim Streicheln versehentlich umbrachte; Cal hätte sich allerdings nichts daraus gemacht.
    Doch was sie verband, war noch stärker. Wenn man sich lange genug kennt und füreinander oft genug die Kastanien aus dem
Feuer geholt hat, wird man sich immer ähnlicher. Zweifelsohne konnte Cal grausam sein. Aber wie bei den meisten gewalttätigen Menschen war es auch bei ihm eine Frage von gut und böse, von schwarz und weiß. Die Menschen in der sehr kleinen weißen Zone – seine Frau, seine Kinder, Adam, Adams Familie  – schützte er unter Einsatz seines Lebens. Der Rest der Welt war schwarz und uninteressant, ein lebloser Hintergrund.
    Adam Yates wartete weiter, aber Cal hielt länger durch.
    »Was ist?«, fragte Adam schließlich.
    Cal ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er hatte Angst vor Abhörgeräten. Dann sagte er: »Sie ist tot.«
    »Welche?«
    »Die Ältere.«
    »Bist du sicher?«
    »Man hat ihre Leiche in New Jersey gefunden. Wir haben sie durch die Seriennummer der Brustimplantate identifiziert. Sie hat als Nonne gelebt.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    Cal lächelte nicht. Er machte keine Witze.
    »Was ist mit …«, Yates wollte nicht einmal Clydes Namen aussprechen, »… mit ihm?«
    Cal zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
    »Und das Video?«
    Cal schüttelte den Kopf. Es war genauso, wie Adam Yates es erwartet hatte. Die Geschichte nahm kein leichtes Ende. Wahrscheinlich wäre sie niemals zu Ende. Er sah noch einmal kurz seine Frau und seine Kinder an. Dann ließ er den Blick durch das geräumige Büro wandern, über die Auszeichnungen an den Wänden, sein Namensschild auf dem Schreibtisch. Alles  – seine Familie, seine Karriere, sein ganzes Leben – drohte ihm zu entgleiten. Es war fast, als versuche er, Rauch in der Hand festzuhalten.
    »Wir müssen nach New Jersey«, sagte er.

19
    Sonya McGrath war überrascht, als sie den Schlüssel im Schloss hörte.
    Mehr als zehn Jahre nach dem Tod ihres Sohns standen Stephens Fotos immer noch in denselben Rahmen auf denselben Beistelltischen. Natürlich waren andere Fotos dazugekommen. Als Michelle, Sonyas älteste Tochter, letztes Jahr geheiratet hatte, hatten sie viele Fotos gemacht. Einige davon hingen im Rahmen über dem Kamin. Aber sie hatte kein einziges Foto von Stephen abgenommen. Sie hatten seine Sachen weggepackt, sein Zimmer neu gestrichen, seine Kleidung einer Wohltätigkeitsorganisation gespendet, sein altes Auto verkauft, aber Sonya und Clarke hatten es bis heute nicht übers Herz gebracht, die Fotos anzutasten.
    Wie viele Bräute hatte ihre Tochter Michelle sich entschieden, den Großteil der feierlichen Hochzeitsfotos vor der eigentlichen Zeremonie aufnehmen zu lassen. Der Bräutigam, ein netter Junge namens Jonathan, hatte eine große Familie. Sie machten die üblichen Bilder. Sonya und Clarke hatten tapfer posiert – mit ihrer Tochter, mit ihrer Tochter und ihrem zukünftigen Schwiegersohn, mit Jonathans Eltern und dem Brautpaar und so weiter. Aber als der Fotograf das »Bild der Familie McGrath« machen wollte, hatten sie abgelehnt, weil alle auf dem Bild mit Sonya und Clarke, Michelle und deren jüngerer Schwester Cora selbst nach diesem Freudentag die riesige Leerstelle auf dem »Familienfoto« sehen würden, auf das Stephen immer noch gehörte.
    Es war still in dem großen Haus. Seit Cora aufs College ging, war das immer so. Clarke machte wieder »Überstunden« – eine euphemistische Beschreibung dafür, dass er mit seiner Perle ins Bett ging – aber das störte Sonya nicht. Sie hatte nichts dagegen, dass er sich den Tag so einteilte, weil ihr das Haus sogar noch einsamer und noch stiller vorkam, wenn Clark da war.

    Sonya ließ den Cognac im Schwenker rotieren. Sie saß allein im neu eingerichteten, dunklen »Medienzimmer« und hatte eine DVD eingelegt. Sie hatte sich einen Film mit Tom Hanks aus der Videothek geholt – sie fand es tröstlich, wenn er mitspielte, selbst wenn der Film nicht gut war –, hatte aber die Play-Taste noch nicht gedrückt.
    Herrgott, dachte sie, ist mein Leben wirklich so erbärmlich?
    Sonya war immer beliebt

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