Kein Job fuer schwache Nerven
zu viel davon an Stellen, wo es nie von oben hätte hintropfen können. Zum Beispiel in den Regalen mit den kleinen Modellautos. Oder mitten auf dem meterhohen Fotopuzzle von Schloss Neuschwanstein. Dieses Blut konnte nur von der Mutter stammen. Denn dazu genügte kein Messer, dazu brauchte man Wut.
Wut und Wucht.
Sie hatte noch gelebt, als er sie in den Keller schleifte, sie war schwer verletzt durch die ersten Messerstiche, aber sie hatte noch gelebt. Geändert hatte das nichts. Die Spritzer an der Wand sahen so aus, wie sie entstehen, wenn man mit etwas Schwerem auf einen menschlichen Körper einschlägt. Eben mit einem Schürhaken. Oder mit einem Beil. Wenn man über jemandem steht, der schon längst nicht mehr laufen kann, der hilflos am Boden liegt. Wenn man mit dem Schürhaken ausholt, richtig Schwung holt. Wenn man das Opfer dann am Kopf erwischt, so hart, dass das Blut bis an die Wand auf der anderen Seite des Kopfes spritzt. Von unten nach oben. Nicht nur ein paar Zentimeter weit. Sondern bis zu den Spitzen der Türme von Schloss Neuschwanstein.
Und noch mal.
Und noch mal.
Dicke Spritzer, auch Klumpen klebten überall. Klumpen, die zu entfernen sich niemand die Mühe gemacht hatte. Genauso wenig wie vom Telefon, unten. Der ganze Tatort sah aus, als hätte jemand gesagt: » Wir haben zwei Menschen umgebracht, na und? Essen wir jetzt Pizza?« Das hatten sie dann ja den Zeitungen zufolge auch getan. Ich schüttelte den Kopf und begann, mein Team einzuteilen.
Dieser Tatort war etwas völlig Neues für uns. Wir kannten Fundorte lange liegender Leichen, bei denen andere Firmen oder Hausmeister einfach mal drauflos gebastelt hatten. Was wir nicht kannten, war ein Tatort, bei dem schon jemand dilettantisch vorgewurschtelt hatte. Wiederum eher üblich war das überall klebende Grafitpulver. Da kennen die bei der Polizei nix, logisch, die sparen damit nicht, und so hilfreich das Zeug zur Spurensuche ist, so widerspenstig ist es beim Entfernen. Das ist nicht wie Mehl, da hilft einem kein Staubsauger, das Material ist unglaublich fein und zugleich ölig-schmierig, als hätte man die Mine von einem Bleistift fein gemahlen, aber nicht die harten Bleistifte der Sorte HB oder gar H, sondern 9B, das ist beinahe schon lippenstiftweich. Die Wände waren voll und sämtliche Teppichböden, mal mit, mal ohne Blut.
Hardy übertrug ich die Aufgabe, die Teppiche zu reinigen und wegzuwerfen, was nicht mehr zu retten war. Wir setzen uns ja selbstverständlich nicht hin, nehmen das 3000-Teile-Neuschwanstein-Puzzle auseinander, wischen alles ab und setzen es wieder zusammen – für das Geld, das so was kostet, kann man sich zehn nagelneue Neuschwanstein-Puzzles kaufen und dazu einen Professor für Kunstgeschichte, der sie für einen zusammensetzt. Ich kümmerte mich um das Blut an den Wänden und ging schon mal mit unserer Spezialfarbe drüber, damit man anschließend die Wände neu streichen konnte.
Hardy kam erstaunlich gut voran, das Sprühextraktionsgerät bewährte sich wieder einmal hervorragend. Das war super, weil er dann relativ schnell damit anfangen konnte, alles abzukleben, was beim Streichen geschützt werden musste. Wir bauen ganz professionell vorher die Abdeckungen von Steckdosen und Lichtschaltern ab, hier ließen sich sogar die Türrahmen ganz einfach abziehen. Ich will schließlich nicht, dass meine Arbeit so aussieht wie der geschlampte Mist, den der Amateurmörder hinterlassen hatte. Großzügige Farbfahrer unten über die Leisten hinaus – nicht mit mir!
Helga hatte ich mit dem Putzen betraut. Dass das Paar schon mal grob vorgewischt hatte, ersparte ihr überhaupt nichts. Wenn man die Wände ansah, dann mussten die Treppe und die Kellerfliesen genauso blutverschmiert ausgesehen haben, gut, dieses Blut war auf den ersten Eindruck weg. Aber auf den zweiten Blick war alles noch da, an den Stellen, wo man das Blut eben findet, an den Ritzen zwischen Fußbodenleiste und Fußboden, seitlich an den Stellfüßen der Möbel, am Treppengeländer, an den Treppenstufen auf der Seite: überall da, wo dem gar nicht sauberen Pärchen die Mühe zu groß gewesen war. Helga hat das Haus gewienert wie eine Besessene. Wir begannen um 9 Uhr morgens, und als ich um 21 Uhr das Malerwerkzeug weglegte, war sie noch immer nicht fertig, sie hat eine halbe Stunde länger gewischt, perfektionistisch, akribisch, unermüdlich. Wir haben inzwischen unten den Kühlschrank geleert. Das hätte natürlich auch der Sohn selbst machen
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