Kein Job fuer schwache Nerven
meine Frau ist so ein normaler Mensch.
Am Apparat war eine Angehörige der Opfer. Sie sagte, dass die Tatortwohnung übergabefertig gereinigt werden müsste, dann galt es einen Umzug zu organisieren, damit die Mutter der Mädchen den Tatort nicht mehr zu betreten brauchte. Ich habe mich mit der Frau in dieser Wohnung getroffen. Und wir haben grob besprochen, was mitgenommen werden sollte und was nicht. Dann habe ich versucht, das Ganze zu organisieren.
Wir hatten nicht allzu viel Zeit, denn das Vorhaben musste bezahlbar bleiben. Wir sind ein bisschen mit dem Preis runter, die Umzugsfirma ist ein bisschen mit dem Preis runter, dann reichte es für einen kompletten Arbeitstag. Ich habe für jeden Raum Listen angefertigt, ich habe zusätzlich die wichtigen Dinge mit Punkten beklebt: Grün für » muss mit«, Rot für » kann weg«. Und wir sind zu acht gekommen, weil es wirklich viel zu sortieren, zu reinigen und zu entsorgen gab: Klaus, Hardy, Didi, Helga, Steffen, meine Frau Petra, meine Tochter Jenny und ich.
Ich habe das erste Mal nichts selbst gemacht. Petra und ich hatten das am Vorabend so besprochen – ich würde den Einsatz leiten, sämtliche Fragen beantworten, sämtliche Entscheidungen treffen. Das ist einerseits sinnvoll, weil man schnell pampig wird, wenn man gerade putzt und dauernd unterbrochen wird. Aber es war auch ein komisches, ungewohntes Gefühl, wenn um einen herum alle arbeiten und man selbst tut nichts, jedenfalls körperlich. Es brachte etwas mit sich: Ich konnte das erste Mal ungestört die Menschen beobachten, die mit mir arbeiten. Und es war vom ersten Moment an etwas grundlegend anders an dieser Einsatzstelle.
Die Stimmung war angespannt. Es gab schnell Streit, wer was in welcher Reihenfolge machen würde. Helga wischte noch in der Küche, während Hardy ihr schon die Schränke unter dem Lappen wegpacken wollte, und umgekehrt. Es gerieten Menschen aneinander, die schon dutzendfach miteinander gearbeitet haben. Weil es nichts, aber auch gar nichts zu lachen gab. Man musste kein Detektiv sein, um auf den ersten Blick all das zu sehen, was man in der Zeitung gelesen hatte. Wir sahen, wo die Elfjährige gelegen hatte, wo die Achtjährige, man konnte den Weg der Mutter mit dem toten Kind auf dem Arm nachvollziehen. Hier machte niemand einen Witz, hier gab es nichts, was Konflikte entschärft hätte. Und der Auftrag zog uns zusätzlich in das Geschehen hinein.
Wir sollten ja entscheiden, was mit in die neue Wohnung sollte und was nicht. Und wir versuchten alle, uns in die Rolle der Mutter zu versetzen. Wir versuchten, jeden Gegenstand mit ihren Augen zu sehen. Die Kinderkleidung. Die Spielsachen. Stofftiere. Bilder, die die Kinder gemalt hatten. Was davon kann man wegwerfen? Was davon ist wichtig? Was ist damals passiert, als die Kinder das erste Mal das Kinderbuch in der Hand hatten? Hatten sie es geliebt oder hatte es nur unbeachtet im Regal gestanden? Hatten sie jede eine Lieblingstasse? Ich geriet selbst ins Schleudern, ich versuchte, eine sinnvolle Regel zu entwickeln. Ich versuchte zu spüren, was der Mutter wichtig war. Ich war so nah dran, dass ich ihren Schmerz beinahe genauso spürte.
Ich spürte den Schmerz. Und den Kick.
Und dann sah ich Petra. Petra kniete neben Jenny im Kinderzimmer. Sie packten Kartons, und sie konnten kaum sehen, was sie da überhaupt einpackten, weil ihnen ständig die Tränen in den Augen standen. Ich sah, wie es ist, wenn man nur den Schmerz spürt. Und keinen Kick.
Denn Petra und Jenny haben sich diesen Job nicht ausgesucht, jedenfalls nicht so wie ich. Sie waren mitgefahren, weil Not am Mann war. Ich beobachtete sie, und ich konnte sehen, welchen Preis man für diese Arbeit bezahlt. Ich fragte mich kurz, warum ich diesen Preis nicht bezahlte – aber das war Unsinn. Jeder von uns zahlt diesen Preis, aber manche von uns wissen immerhin, wofür. Ich zahle ihn für den Kick.
Petra nicht.
Und so, wie ich Petra beobachtete, wirkte ihr Verhalten, alles in allem, gesünder als mein eigenes.
Diese Distanz hat Vorteile. Ich konnte schneller als Petra zu dem Punkt kommen, dass wir nicht jedes einzelne Teil abwägen konnten und dass man den Zeitfaktor einrechnen musste. Ich weiß noch, als mein Schwiegervater starb, war es für uns immens wichtig, seine Schreibtische zu behalten. Jetzt, einige Jahre später, konnten wir uns von ihnen trennen, ohne dass wir das Gefühl hatten, uns zugleich von ihm zu trennen. Das versuchten wir nun auch auf diesen Umzug
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