Kein Job fuer schwache Nerven
anzuwenden. In ein oder zwei Jahren würde die Mutter sicher nicht mehr jede Jacke vermissen, jeden Teller. Und wenn wir beim Einpacken nicht das allerliebste Teil der Kinder errieten, würde sie in ein oder zwei Jahren sicher auch mit dem zweitliebsten Teil das Andenken an ihre Kinder bewahren können. Aber dennoch: Pragmatische Distanz löst nicht jedes Problem.
Wir haben zehn Stunden am Stück gearbeitet. Und als wir nachher zum Abschlussessen gegangen sind, war nichts wie sonst. Normalerweise besprechen wir den Ablauf, wir rekapitulieren, was gut gelaufen ist, wir überlegen, was man verbessern sollte und könnte – aber nicht in diesem Fall. An diesem Abend redeten wir nur über die Familie, die Mädchen, die Tat.
Nach dem Mädchenmord von Krailling habe ich beschlossen, dass wir professionelle Hilfe brauchen. Dass meine Mitarbeiter und ich regelmäßige psychologische Betreuung brauchen, und dass auch ich mir nicht weiter einreden kann, dass ich mit den Reaktionen einfach routinierter umgehe als Petra.
Ich wusste aber noch nicht, wie dringend es war.
19 . Doppelpack
Gut, meine Arbeit ist nicht unbedingt eintönig. Aber es ist doch überraschend, wie oft sich auch in meiner Arbeit Fälle wiederholen. Das glaubt man mir ziemlich selten, weil der Tod für die meisten Menschen etwas Besonderes ist, dem sie nicht allzu oft begegnen. Aber die Fälle, in denen ich arbeite, die erledigt der Tod manchmal fast schon routiniert, beinahe beiläufig, so einfallslos, als würde er dabei auf die Uhr sehen und auf den Feierabend warten.
Nicht, dass ich ihm einen Vorwurf machen möchte. Aber da kommt man in die vereinsamten Wohnungen, sieht sich um, sieht das billige Sofa, den Fernseher, die immer gleichen Möbel, wirklich wahr, den Tisch aus lackiertem Kiefernholz, den halb leeren Kasten Bier und denkt sich: » Na, Tod, heute hast du aber auch nicht gerade deinen kreativsten Tag gehabt, hm?« Was natürlich nicht stimmt, weil der Tod seinen Job nicht gerade gemacht hat, sondern meist vor sechs oder acht Wochen.
Schon klar: Das ist natürlich ein Trugschluss. Es liegt nicht an der Fließbandarbeit des Todes, es liegt daran, dass die lange liegenden Leichen eben zu einem sehr, sehr hohen Prozentsatz einer bestimmten Gruppe angehören, der Gruppe der vereinsamten Alten oder Kranken, Menschen, die die Gesellschaft verdrängt und vergessen hat oder die auch selbst viel dafür getan haben, vergessen zu werden, aus Bequemlichkeit, aus Scham, aus Gesundheitsgründen. Daher die oft jahrzehntealten Möbel, die seit den 1950er- oder 1960er-Jahren nicht mehr renovierten Bäder. Diese Menschen leben nicht sehr schön, und wenn wir dort putzen, ist das oft eine ziemlich deprimierende Umgebung, weil man sich dauernd denkt: » Was war das für ein Leben? « Und weil einen das so runterzieht, denkt man sich eben verärgert: » Tod, lass dir mal ein bisschen mehr einfallen!«
Aber es ist ja nicht nur der Tod, der so arbeitet, mitunter wäre das Leben an sich auch schon mal ein guter Kandidat für einen Kreativ - Workshop. Wespennester sind entweder unterm Dach, im Baum oder im Rollokasten. Die Schaben sind in der Küche, hinterm Herd. Und die Messis wohnen festungsartig verbarrikadiert allein in einem unvorstellbaren Chaos. Und das denkt man sich dann eben auch, wenn ein Mann anruft, so Mitte 40, und fragt, ob wir uns auch um Messie-Wohnungen kümmern?
» Ja«, hab’ ich gesagt, » machen wir auch.« Und man denkt sich: » Na ja, halt das Übliche.«
Bis der Mann sagt: » Es ist nämlich so, meine Eltern haben da ein kleineres Messie-Problem.« Da wird man dann schon hellhörig.
Seit wann wohnen Messies zu zweit?
Auf Anhieb klang für mich das Problem so, als wohnten die Messis sogar zu dritt: Es gab offenbar noch eine Katze, und die Katzenstreu entsorgten sie, so erzählte mir der Sohn, mit Vorliebe durch die Toilette. Als Katzenbesitzer denkt man sich vielleicht jetzt: » Toll, warum bin ich da nicht selber draufgekommen?« Das ist aber keine gute Idee, weil Katzenstreu zum Flüssigkeitaufsaugen und zum Verklumpen gedacht ist. Daraufhin war die Toilette verstopft, es gab einen Wasserschaden, und der Klempner der Hausverwaltung hatte die alten Herrschaften aufgesucht und sich dann geweigert, die Toilette zu reparieren. Nicht generell, aber wenigstens solange die Wohnung so aussah, wie sie aussah.
So klein konnte das Messie-Problem also doch nicht sein.
Unser Auftrag war die Geruchsbekämpfung, die Säuberung und die Beseitigung
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