Kein Kanadier ist auch keine Lösung
zurück? Er musste bereits eine halbe Stunde fort sein. Sie wagte es nicht, die Lampe anzuknipsen, um auf die Uhr zu schauen. Wenn nicht alles in Ordnung war, würde sie sich damit unter Umständen verraten. Anscheinend hatte John sie nicht erwähnt, sonst hätte man sich bereits nach ihr umgesehen. Das war kein gutes Zeichen. Wenn er es für besser hielt, sie nicht zu erwähnen, konnte es sich nicht um angenehme Zeitgenossen handeln. Womöglich tatsächlich Wilderer? Aber wie gefährlich konnten die sein? Der Wilde Westen gehörte schließlich der Vergangenheit an, sollte man meinen.
Sandra warf den Gedanken beiseite. Sie war noch nie gut darin gewesen, sich Anordnungen zu unterwerfen. Sie erhob sich und ging langsam auf das Licht im Haus zu. Noch immer wollte sie lieber nicht die Taschenlampe benutzen. Vielleicht war es schlauer, sich von hinten heranzupirschen.
Vorsichtig, jeden Schritt in der Dunkelheit ertastend, schlich sie um das Haus.
Zu spät bemerkte sie die plötzliche Schlüpfrigkeit des Bodens. Hilflos mit den Armen rudernd rutschte sie weg und landete unsanft auf der rechten Hüfte. Nach einem Moment der verblüfften Nerventaubheit setzte ein Schmerz ein, der sie in eine andere Dimension katapultierte. Die Zeit stand still und nichts außer dem Schwindel erregenden Stich in ihrer Hüfte drang in ihr Bewusstsein.
Als der Schmerz sich langsam und pochend zurückzog und sie ihr Denkvermögen wiedererlangte, spürte sie etwas Nasses und Weiches zwischen den Fingern. Übelkeit wallte in ihr auf, als sie den scharfen, metallischen Geruch wahrnahm. Mit der anderen noch sauberen Hand tastete sie vorsichtig nach der Taschenlampe. Wo war das verdammte Ding hingerollt? Sie fand sie direkt hinter sich. Den Lichtkegel auf den Boden gerichtet untersuchte sie ihre Lage. Sie saß inmitten einer großen Lache einer klebrigen Flüssigkeit, die unendlich stank.
Was zum Teufel war das?
Vorsichtig erhob sie sich und ließ den Lichtstrahl um sich wandern. Etwa fünf Meter von ihr entfernt erschien ein grauer Hügel im Lichtkegel. Sandra kämpfte gegen akuten Brechreiz. Totes Wild. Bereits geschlachtet und vom Fell befreit. Sie stand mitten in Blut und Eingeweiden. Sie konnte gerade noch verhindern auf ihre Schuhe zu erbrechen.
Nach Luft schnappend taumelte sie aus der zähen Lache heraus. Tränen der Anstrengung, Ekel und Angst trübten ihre Sicht. Mit bebenden Händen riss sie ein paar Blätter von einem Busch und versuchte hastig die stinkende Schmiere von ihren Fingern zu reiben. Zum Glück wusch die Dunkelheit sämtliche Farben aus der Szenerie. Doch allein das Wissen, es handelte sich um Blut, genügte, um Sandra erneuten Brechreiz zu verursachen. Sie kämpfte heroisch dagegen an, bemüht, ihre rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Noch immer hatte sie keine lauten Stimmen gehört, noch immer deutete nichts darauf hin, dass John aus der Hütte kam. Falls er überhaupt dort war. Aber wo sollte er sonst sein? Inständig betete sie, kein Bär möge all das Blut und die toten Tiere riechen und sie als Nachtisch willkommen heißen.
Als sie ihren Atemrhythmus wieder unter Kontrolle hatte, warf sie ein letztes Mal den Lichtkegel in Richtung Haus, um einen gangbaren Weg zum hinteren Fenster zu finden. Das Fenster war schmal, trüb von Schmutz und ziemlich hoch. Sie hoffte, sie würde hineinsehen können, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte.
Sie prägte sich den Weg fest ein, schaltete die Lampe aus und setzte sich in Bewegung. Die Hüfte schmerzte höllisch und ihre Knie gaben bei jedem Schritt zitternd nach. Sie hatte genug Muskeltraining für einen Tag gehabt. Die blutgetränkte Jeans rieb unangenehm gegen die schmerzende Stelle. Am liebsten hätte sie die Hose kurzerhand ausgezogen, doch dann wäre sie den noch immer aktiven Moskitos noch schutzloser ausgeliefert.
Mit all ihrer verbliebenen Kraft umklammerte sie das schmale Fensterbrett und zog sich so weit hoch, dass sie in das Fenster hineinschauen konnte. Panisch ließ sie sich wieder herab und sank zusammengekauert gegen die Holzwand. Blankes Entsetzen ließ sie erstarren.
John lag niedergestreckt auf dem hölzernen Boden der Hütte und sie wusste nicht, ob er noch lebte. Schluchzende Laute entkamen ihrer Kehle und sie presste beide Hände auf ihren Mund. Falls die Männer sie hörten, würde ihr das Gleiche passieren. Mit aller Macht versuchte sie die Panik unter Kontrolle zu bekommen.
Sie wusste nicht, wie lange sie dort gesessen hatte, als
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