Kein Kanadier ist auch keine Lösung
aufzutauen und sich auf einer Couch zu lieben. Sie hatte das Paradies entdeckt. John war wundervoll, konnte man da etwas vermissen? Eine Kleinigkeit nur, die ihr Glück auch auf emotionaler Ebene perfekt gemacht hätte. Wenn John doch nur ein Mal die drei magischen Worte sagen würde. Sie sprachen weiß Gott über alles, auch über Gefühle. Doch bisher hatte sie es noch nicht gewagt, über ernsthafte Liebe zu sprechen, und John schien das Thema zu meiden.
Es war leicht ihn zu erregen und zu verführen. Er fand es sogar anregend, ihr beim Zähneputzen zuzusehen. Sie entdeckte die Freuden des Kokettierens und sie spürte eine ungeheure Befriedigung dabei, ihn zu reizen. Das Weib in ihr jubelte und Gudrun war stolz auf sie, wenn sie ihr bei Telefonaten von ihrer neuen weiblichen Art erzählte. „Endlich ein Mann der das in dir weckt“, hatte sie gesagt. Oh ja, er weckte allerhand in ihr. Sie fand sich in Reizwäsche wieder und servierte ihm Essen in einem französischen Stubenmädchen-Outfit. Es machte ihn halb wahnsinnig und sie genoss den verlangenden Glanz in seinen Augen. Wenn sie sich abends auszog, war sie sich jeder ihrer Bewegungen bewusst, genau wie seinem bewundernden Blick. Was sie für ein albernes und überflüssiges Spiel der Geschlechter gehalten hatte, machte ihr nun Spaß und sie fühlte sich wie die begehrenswerteste Frau auf dem Planeten, denn John entging nichts. Er belohnte sie mit seiner Aufmerksamkeit, süßen Worten und Komplimenten. Sie hatte nicht gewusst, dass eine Beziehung so schön sein konnte und ein männliches Wesen sich je so verhalten würde. Gudrun hatte recht behalten. John fühlte sich nicht von ihr bedroht und es machte ihm Spaß, der galante Liebhaber zu sein. Sicher war nicht jeder Mann so, zum Beispiel nicht Herr Bode, aber vielleicht steckte selbst in so einem Mann der Urinstinkt, für eine Frau da sein zu wollen, sie zu verführen, zu ehren und ihr die Welt zu Füßen zu legen, und nur das Verhalten der modernen Frau schreckte ihn ab, diese Seite zu zeigen.
John hatte einige Dinge zu erledigen und sie fuhren in seinem Pickup Truck in das Indianerreservat, das er oft besuchte, bisher jedoch stets ohne sie. Kaum waren sie ausgestiegen, erschien ein weißhaariger älterer Herr wie aus dem Nichts.
„ Raven“, sagte der alte Indianer zu John mit einem kurzen Kopfnicken.
„ Hi, Joe“, grüßte er zurück.
Dann hielt der alte Mann Sandra seine Hand hin. Sie griff zu und sprach eine der englischen Begrüßungsfloskeln, die sie von John gelernt hatte. Viel öfter als das altbekannte how are you? benutzten die Menschen im lockeren Privatumgang die Floskel how’s it goin’? , die man in keinem Englischunterricht lernte, was bedeutete: wie geht’s?. Auch hatte sie gelernt die Hand eines Indianers nicht fest zu drücken, wie es in Europa gang und gäbe war, sondern nur leicht zu halten. Festes Zudrücken wurde als unhöflich empfunden.
Das gegerbte Gesicht des Mannes und die leicht mongolischen Züge waren alles, was ihn als Indianer auswies. Er trug ein rot kariertes Hemd, Jeans und Cowboystiefel und ein Amulett an einem Lederband um den Hals, was Sandra allerdings an den Hälsen jeder Menge Menschen gesehen hatte, nicht nur an indianischen.
Sie befanden sich in dem Reservat, in dem einige von Johns Verwandten lebten. John sprach mit dem alten Mann eine Weile, tauschte Neuigkeiten aus, von denen es nicht viele gab. Onkel Steve war schon wieder im Krankenhaus wegen seines Krebsleidens und Klein Jeannette hatte man betrunken beim Stehlen erwischt.
„ Alltag im Reservat“, flüsterte John ihr zu, als Joe sich abgewandt hatte, um ins Haus zu gehen und Kaffee aufzusetzen.
„ Wie alt ist Jeanette?“
„ Dreizehn.“
„ Oh.“
John räusperte sich und Sandra beschloss keine weiteren unangenehmen Fragen mehr zu stellen. Er hatte ihr bereits einiges erzählt, das sie schockiert hatte. Noch immer wurden die Indianer als Menschen zweiter Klasse behandelt und nur wenige schafften es aus dem Reservat in die Städte, wo sie Berufen nachgehen und wie die Weißen leben konnten.
John war ein Mischling und im Reservat geboren, hatte aber durch die Heirat seiner Mutter mit einem Weißen nicht lange dort gelebt. Sein schottischer Vater hatte ein Großhandelsgeschäft und immer gut verdient. Da John sein Äußeres von seinem Vater geerbt hatte und seine Gesichtszüge und Hautfarbe ihn nicht verrieten, war er unbehelligt unter den Weißen großgeworden. Manchmal bekam sein Vater
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