Kein Kanadier ist auch keine Lösung
Eckbank, Joe nahm auf einem alten Küchenstuhl Platz. Auf dem Tisch lag eine geblümte Wachstischdecke mit Brandflecken, darauf stand ein Satz weißer Kaffeetassen aus unzerbrechlichem Glas. Sandra ließ zögerlich den Blick schweifen, ängstlich, er könne auf etwas treffen, das sie so schockierte, dass es ihrem Gesicht ablesbar wäre. Alte angeschlagene, pastellgrün lackierte Küchenschränke lehnten sich auf dem unebenen Boden schief aneinander. Die Küche ging offen ins Wohnzimmer über, wo ein Sofa mit einem antiken Schonüberwurf den Blick einfing. Am Fenster hing ein riesiger Traumfänger, kunstvoll geschmückt mit baumelnden Pelzstücken und bunten Federn. Ein paar wackelige Bücherregale kauerten sich an die Wände und dazwischen stand ein Tischchen mit einem kleinen Fernseher. Oh ja, dachte sie, die Satellitenschüssel auf dem Dach war ihr aufgefallen und seltsam deplaziert vorgekommen. Verschiedene Jahrhunderte trafen sich hier überall, verschmolzen miteinander. Ihr Blick huschte über schief hängende Bilder an der grün getünchten Wand, die einiges von dem spärlichen Licht der kleinen Fenster verschlang. Wahrscheinlich hatten sie keine hellere Farbe bekommen können, damals, vor mindestens fünfzig Jahren, als das Haus noch neu war.
Die Bilder zeigten Stammesbrüder Arm in Arm, muffelige Gesichter der Vorfahren, auf Papier gebannt in Schwarz-Weiß, als man noch Indianerkleidung trug und sich den weißen Fotografen mit Stolz stellte. Als man noch keine Ahnung hatte was alles geschehen würde, durch diese weißen Männer mit den seltsamen Apparaten und neuen Ideen.
„ Meine Großväter“, sagte John und ihr wurde bewusst, dass er sie beobachtete. Sie hoffte, nicht allzu entsetzt zu wirken.
„ So so, du kommst also aus dem fernen Europa“, sagte Joe zu ihr. Sie meinte einen seltsamen Unterton zu hören. Aus dem Land des bösen weißen Mannes.
„ Deutschland.“
„ Mein Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg, in Frankreich“, sagte Joe. Sandra war verblüfft. Was machte ein Indianer im zweiten Weltkrieg? Warum kämpfte er den Kampf der Weißen? John schien ihre Verblüffung zu merken.
„ Viele Indianer sahen ein verloren zu haben gegen die Weißen. Sie versuchten sich zu arrangieren. Zum Dank wurden sie eingezogen und als Soldaten verheizt.“
Das wurde ja immer schlimmer, dachte sie. Sie konnte nur noch starren. Joe lachte auf und ging dann ins Kichern über.
„ Arme weiße Frau. Ich sehe, du weißt vieles nicht. Lehrt man euch keine Geschichte in Europa?“
Sie schluckte hart. „Doch, natürlich. Aber Indianergeschichte war nicht dabei. Zumindest nicht in meiner Schule. Wir haben ein eher romantisches Bild von den Indianern. Natürlich wissen wir um die Kämpfe und fast vollständige Ausrottung der Indianer, aber wahrscheinlich wollte man uns die furchtbaren Details ersparen.“
Joe schmunzelte. „Der weiße Mann hat schon immer genau selektiert, was in die Geschichtsbücher kommt und was nicht.“
Dann wandte er sich an John und sie war froh aus dem Gespräch entlassen zu werden. Selbst wenn sie nicht die geringste Schuld trug an dem, was geschehen war, so fühlte sie sich im Moment nicht sehr wohl in ihrer weißen Haut. Obwohl der alte Indianer sie nicht als weiße Feindin behandelte, so kam sie sich dennoch vor wie damals an der Judengedenkstätte. Unschuldig, sich aber dennoch schuldig fühlend, allein durch die Zugehörigkeit einer erbarmungslosen, aggressiven Rasse.
John legte seinen Arm hinter sie auf die Eckbank und sie lehnte sich dankbar dagegen. Er platzierte seine Hand auf ihrer Schulter und sie zog Kraft aus der Berührung.
Joe und John lachten über einen Scherz, der ihr entgangen war. Sie lächelte verkrampft und hoffte, sie würden bald gehen. Doch dann schenkte Joe ihnen Kaffee ein und das Gespräch verlor sich in netten Belanglosigkeiten. Sie begann sich besser zu fühlen. Trotz allem war es ungeheuer interessant, mit dieser Kultur in Berührung zu kommen. Sie lebten nicht mehr nach den alten Traditionen, doch ihr Geist war indianisch geblieben. Sie konnte es spüren. Etwas Weises und Beruhigendes ging von Joe aus. Nicht umsonst war er der Chief, dachte sie. Er repräsentierte sein Volk, mit jeder seiner stolzen Bewegungen. Sein weißes langes Haar war zu einem Zopf geflochten, aus dem sich einzelne kurze dünne Strähnen um sein Gesicht gelöst hatten. Sie betrachtete ihn fasziniert, bis die Männer sich erhoben und Joe sich verabschiedete. Er habe noch viel zu
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