Kein Kanadier ist auch keine Lösung
Exemplar will man festhalten, hatte Connie gesagt. Er wollte Sandra auch festhalten. Er wollte sie um sich haben, mit ihr lachen, weinen, leben, sie lieben und verführen. Nie zuvor hatte er einen Menschen vermisst, der noch lebte. Über alle anderen Frauen war er nach ein bis zwei Tagen weggekommen, wenn es überhaupt so lange gedauert hatte. Und nun lief er schon seit Wochen herum wie ein reanimierter Zombie. Nichts interessierte ihn, nichts konnte seine Aufmerksamkeit länger als drei Sekunden fesseln.
Seine Gedanken waren immer nur bei ihr.
Er hatte schon ein paar Nächte im Büro geschlafen, weil er das Haus ohne ihre Anwesenheit nicht ertragen konnte und weil er eines Morgens losgeheult hatte wie ein Baby, weil ihre Seite des Bettes leer war.
Beschämend, was aus ihm geworden war. Er war ein Jammerlappen.
Und alles nur wegen einer Frau. Wie konnte das passieren? War das Liebe? Es tat verdammt weh. Es riss ihm das Herz bei lebendigem Leib heraus. Sollte Liebe nicht etwas Schönes sein? Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Wie glücklich sie mit ihm gewesen war. Und er hatte sie unglücklich gemacht, genau wie jede andere Frau vor ihr. Was war nur los mit ihm?
Er nahm den Hörer in die Hand. Sein Zeigefinger schwebte über der Taste, unter der Sandras Nummer eingespeichert war. Sie hatten seit ihrer Abreise nicht miteinander gesprochen. Er dachte, sie würde ihn sicher bald anrufen, denn die meisten Frauen nahmen einen zweiten Anlauf. Doch nicht Sandra. Sie hatte mit ihm abgeschlossen. Der Gedanke war deprimierend, aber andererseits machte es ihn auch stolz. Sie war eine Frau mit Prinzipien, was ihn beeindruckte. Sie hätte sicher auch einen guten Mann abgegeben. Aber er war froh, dass sie eine weiche, zarte Frau war. Eine Regung in seinen Lenden erinnerte ihn daran, was er noch alles vermisste. Sämtliche Klischees über Männer und regelmäßigen Sex hatten sich bewahrheitet. Wie herrlich es gewesen war, als sie immer da war. Er hatte befürchtet, es würde ihn irgendwann langweilen, aber das war nicht geschehen. Das Gegenteil war eingetreten. Es war ein beruhigendes Gefühl gewesen nicht allein aufzuwachen. Er hatte sich an die Ausstrahlung gewöhnt, die sie mit sich herumtrug, und die sein Leben erhellte, selbst wenn sie nicht miteinander sprachen.
Oh Gott, war er wirklich reif für eine feste Verbindung?
Wenn da nur nicht all diese Zweifel wären. Die Angst vor immerwährender Gefangenschaft.
Er legte den Hörer auf, ging ans Regal und schenkte sich einen doppelten Whisky ein. Also gut, was er ihr zu geben bereit war, genügte ihr nicht. Er würde damit leben. Irgendwie. Zur Hölle mit der Gefühlsskala.
Sandra hatte den besten Chef von allen, da war sie ganz sicher. Er hatte ihr ihren Job sofort wieder gegeben und Paul dafür nicht nach Kanada zurückgeschickt. Sie nahm sich vor, ihm dieses Jahr ein Weihnachtsgeschenk zu besorgen.
Sie beantwortete ihre privaten Emails von zu Hause. Der Tee stand bereit und das Programm war geöffnet. Eine Nachricht von Joe wärmte ihr Herz. Er stand noch immer in Kontakt mit ihr und stellte manchmal Fragen über seinen Computer, die sie gern beantwortete. Er hatte ihr Fortgehen akzeptiert, ohne je die Gründe dafür hören zu wollen. Seine unaufdringliche Art machte es ihr leicht, weiterhin mit ihm zu kommunizieren. Sie war sich nun sicher, dass er sie um ihrer selbst willen mochte, und nicht nur als Freundin von John, als dessen Anhängsel. Nur ein Mal hatte er angemerkt, dass Mandy traurig war, sie nicht mehr zu sehen. John erwähnte er nie.
Nachdem sie mit der Beantwortung aller Mails fertig war, machte sie sich auf den Weg ins Badezimmer, um sich für den Abend zurecht zu machen. Die schwarze Hüfthose und das orientalisch wirkende enge Oberteil lagen bereits auf ihrem Bett.
Rolf hatte sie zu einem Treffen mit Kollegen in eine Cocktailbar überredet. Mal eine Abwechslung, dachte sie, warum eigentlich nicht. Sicher würde es ganz nett werden und im Moment war alles besser als dieses ständige Grübeln. Richtig geschlafen hatte sie in letzter Zeit auch nicht mehr, denn sie vermisste Mr. Oktopus’ klammernde Nähe und seinen Atemrhythmus. Was ihr zuerst unangenehm gewesen war, hatte sich zum Ritual entwickelt, das sie wärmte, beruhigte und in den Schlaf führte. Sie befürchtete, ohne ihn nie wieder zur Ruhe zu kommen. Vielleicht würde sie diese Nacht durchschlafen, wenn sie ausnahmsweise spät und richtig müde ins Bett fallen würde.
Die Bar
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