Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
die diplomatischere von uns beiden. Jedenfalls wollte sie Juliane helfen, weil die bei ihr noch etwas guthatte. Juliane wollte wissen, ob ihr Freund ihr noch treu war. In letzter Zeit meinte sie, beobachtet zu haben, dass er jede Chance nutzte zu flirten – allerdings nicht mit ihr.
»Und wie kann ich ihr da bitte schön helfen?«, fragte ich schließlich.
»Ganz einfach. Du baggerst ihn an, und wir schauen mal, wie weit der Gute geht!«
»Erstens: Warum fragt sie ihn nicht einfach mal, was los ist? Zweitens: Was hat sie für dich getan, dass du ihr diesen Gefallen tun musst? Und außerdem gibt es doch bei jedem zweiten Radiosender – außer bei uns – inzwischen einen Treuetest.«
»Nun sieh das doch nicht so verbissen. So wie ich dich kenne, wird es für dich auf alle Fälle ein toller Abend. Und mal ehrlich, es täte dir doch auch mal wieder gut, ordentlich zu feiern, unter Menschen zu kommen und mit einem Mann …«
Sie schaute mich nicht an, sondern nahm schnell einen Schluck aus ihrem Proseccoglas.
Besser so, sonst hätte sie gesehen, dass bei mir eine kurzfristige Stimmungsschwankung eintrat. Hätte das eine andere Person gesagt, wäre der Rest des Proseccos jetzt in deren Gesicht und nicht in deren Magen gelandet. Aber Birgit durfte das. Sie war schließlich eine meiner besten Freundinnen, und das seit gefühlten zweihundert Jahren.
Ich machte also den Eindruck, als wäre es an der Zeit, mal wieder einen Mann zu haben. Aha. Ich drehte mich um und schaute in den großen Spiegel, der hinter uns hing. Mir fiel nichts auf. Ich drehte mich wieder zurück und nahm einen Schluck aus meinem Glas.
»Wie lange muss man zusammen sein, um an solch einen Punkt zu kommen?«
»Sechs Jahre.«
Ich sah aus dem Fenster, und plötzlich vergaß ich alle Udos dieser Stadt.
Marc ging am Fenster vorbei, die Stufen zum Eingang hinunter und stand keine zwei Meter von mir entfernt. Mit ihr. Als er mich sah, lächelte er verlegen, ließ ihre Hand unauffällig los und tat, als suchte er einen Platz. Natürlich nahmen sie nicht den freien neben uns, sondern einen Tisch schräg gegenüber auf der anderen Seite. Was für ein Zufall.
Das war sie also. Sophie. Ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Obwohl … Hatte ich sie mir überhaupt vorgestellt? Jedenfalls war ich überrascht. Sie war das Gegenteil von mir: klein, zierlich, sehr sogar, dunkle, glatte, lange Haare. Nicht so ein Wirrwarr von Locken auf dem Kopf wie bei mir. Feine Gesichtszüge, die an eine Porzellanpuppe erinnerten. Irgendwie zerbrechlich, so als müsste man sie beschützen, vor was auch immer. Unterschiedlicher hätten wir nicht sein können. Sophie und ich. Ich schüttelte den Kopf, was Birgit falsch interpretierte.
»Mensch«, fing sie an. »Ist doch ganz normal, dass nach so vielen Jahren mal die Luft rausgeht. Das kennt man doch.«
Nein, das kannte ich nicht. Ich kannte nur Männer, denen ganz und gar nicht die Luft ausging, nach Frischfleisch zu suchen und die Beute dann im eigenen Bett zu vernaschen. Aber ich konnte flirten, und daran konnte sich Birgit noch erinnern, auch wenn im Moment erschwerte Bedingungen herrschten.
Marc hatte sich mit dem Rücken zum Raum gesetzt. Er sah gut aus. Auch von hinten. So durchtrainiert hatte ich ihn gar nicht in Erinnerung. Vielleicht war es auch nur das schummrige Licht oder der Inhalt des Glases, das jetzt leer vor mir stand. Alkohol weckte manchmal Sehnsüchte, die keiner brauchte.
Ich kramte mein Handy aus der Tasche und schickte ihm eine SMS: Hatte ich dir eigentlich gesagt, wie attraktiv ich dich finde? Sollte er doch puterrot werden.
»Bist du noch verabredet?«, fragte Birgit.
»Nein, ich war«, antwortete ich knapp und hätte wissen müssen, dass das Birgit nicht reichte.
»Klingt ja spannend. Erzähl doch mal.« Sie rückte ein Stück an mich heran.
Nach ihrer Bemerkung kam mir diese Situation gerade recht.
»Siehst du den blonden Typen da vorne mit der Brünetten?«, sagte ich extra leise, obwohl die Musik laut genug war, und kippte lediglich den Kopf leicht zur Seite, sodass sie wusste, wen ich meinte.
Birgit drehte nicht nur den Kopf, sondern ihren ganzen Oberkörper und hätte dabei fast den Tisch samt Gläsern umgerissen. Ich konnte sie gerade noch vor dem freien Fall retten. Bei der Stasi hätte sie die Probezeit vermutlich nicht überstanden.
»Den da?«, fragte sie und zeigte auch noch auf ihn, was Sophie Gott sei Dank nicht bemerkte.
»Birgit!«, zischte ich, so leise und
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