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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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dreimal klingeln, bevor sie mir aufmachte, was besonders unangenehm war, da es in Strömen goss und es keine Möglichkeit gab, sich vor der Haustür unterzustellen, weder mich selbst noch Waltraud. Die sah mich an, als wäre ich für das Wetter in dieser Stadt verantwortlich. Dabei hatte ich von uns beiden wirklich das schlimmere Los gezogen, denn ich war es, die sich nachher die Nase zuhalten musste, nicht sie. Der Geruch nach nassem Hund gehörte definitiv zu denjenigen Düften, die die Welt nicht brauchte und die eher als Strafe anzusehen waren.
    Es tat sich nichts. Ich klingelte noch mal und noch mal. Da ich ein großer Tatort-Fan war, sah ich sie schon nach dem zweiten Klingeln blutüberströmt, mit aufgeschnittenen Pulsadern auf dem Boden ihres winzigen Badezimmers. Mit Blut hatte sie seinen Namen an die Fliesen geschrieben, den Namen ihres Exliebhabers. So stellte ich mir das Szenario vor, das mich gleich erwarten würde, nachdem ich die Tür eingetreten hätte. Aber das musste ich nicht. Der Türsummer wurde betätigt.
    Als ich keuchend im vierten Stock vor ihrer Tür stand, war diese angelehnt. Aus der Wohnung kamen Geräusche, die nichts Gutes ahnen ließen.
    Ich hatte richtig getippt. Sie war wirklich im Bad, allerdings lag sie nicht dort, sondern sie kniete – vor der Kloschüssel. Ein Ort, den sie seit Tagen kaum noch verließ. Morgens musste sie aufs Klo, weil ihr übel war, im Laufe des Tages mindestens tausendmal, weil sie das Gefühl hatte, inkontinent zu sein, und abends wieder, weil ihr übel wurde. So etwas nannte man im Journalismus »Klammer«. Aber dies war das echte Leben. Obwohl man über ihr Leben auch einen prima Roman hätte schreiben können, bei dem, was dieser verrückten Nudel ständig passierte. Oder vielleicht eher einen Krimi, denn ihre augenblicklichen Gefühle gingen nicht nur in Richtung Gurke mit Nutella, sondern auch in Richtung Totschlag.
    »Ich könnte ihn umbringen, weiß nur noch nicht genau wie. Hast du eine Idee?«
    »Bevor wir uns da etwas Hübsches überlegen, sag mir mal, was überhaupt passiert ist.«
    »Es ist nichts passiert. Das ist es ja. Egal, wann ich anrufe, er geht nicht ran. Bei seinem Bruder ist auch niemand. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt, und, ehrlich gesagt, will ich es auch langsam nicht mehr wissen.«
    »Wann hast du Max das letzte Mal auf seinem Handy angerufen?«
    »Vor einer Stunde.«
    »Ich ruf ihn mal an. Meine Nummer hat er sicher nicht gespeichert. Gib mir mal seine …«
    Mein Versuch brachte uns nicht weiter. Das Handy war ausgestellt, und the person you have called war augenblicklich nicht erreichbar.
    »Da stimmt was nicht. Ich spür das.«
    »Was soll denn da nicht stimmen? Er will mich nicht mehr sehen, weil es ihm unangenehm ist, er nicht weiß, was er will oder sonst was. Wahrscheinlich ist er in Dänemark und hat seinen besten Freund Holger gerade geheiratet. Womit habe ich das verdient? Ich versteh das einfach nicht! Charly, kommst du mit in den Kreißsaal?«
    Meine Motivation, Max zu finden, verzehnfachte sich.
    »Gib mir mal bitte dein Festnetztelefon. Ein Mensch kann nicht einfach so verschwinden. Es sei denn, man löst ihn in Salzsäure auf. Und da du die Einzige bist, die eventuell einen Grund dazu hätte, lebt er noch, und wir werden ihn finden.«
    »Du liest definitiv zu viele Krimis.«
    »Ich lese nicht. Ich höre. Und zwar ›Die drei Fragezeichen‹. Und ich gucke Tatort.«
    »Schlimm genug.«
    »Wenn das hier so weitergeht, schreibe ich demnächst ein Drehbuch. Hast du mal ein Telefonbuch?«
    Ilka sah mich verwirrt an. »Nein, aber du hast ein iPhone in der Hand …«
    Meine Abneigung gegen Kreißsäle ließ mich glatt vergessen, wie weit fortgeschritten die Technik inzwischen war.
    Ich rief alle Krankenhäuser der Freien und Hansestadt Hamburg an. Ilka zeigte mir einen Vogel und war davon überzeugt, dass ich dringend mal ordentliche Literatur lesen sollte, und den Fernseher wollte sie mir auch wegnehmen – bis die Stationsschwester des Marienkrankenhauses mich am Telefon freundlich begrüßte und nicht gleich wieder abwimmelte.
    »Herr Martin ist bei uns. Ich darf Ihnen allerdings keine Auskünfte geben.«
    »Na, Sie könnten mir aber wenigstens sagen, ob er es überleben wird, wenn Sie mir schon nicht sagen, was er hat.«
    Am anderen Ende wurde gelacht. »Das wird er mit Sicherheit überleben.«
    Ich wünschte noch einen schönen Tag.
    »Er liegt im Marienkrankenhaus, und darum ist das Telefon vermutlich abgestellt.

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