Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
nicht aus –, sondern weil ich solch eine ungeheure Energie in mir spürte, eine Energie, die vermutlich sogar gereicht hätte, um einmal um die Alster zu laufen. Mein Gott tat das gut. Hätte ich schon viel früher machen sollen …
*
Als ich Mittwochnachmittag eine beleidigte Waltraud abgeholt hatte und wir in die Wohnung gingen, hing der Jogginganzug immer noch – was hatte ich anderes erwartet – an der gleichen Stelle und erinnerte mich an meine nächste Verabredung, die genauso schweißtreibend werden würde wie die letzte. Allerdings würde ich mich danach sicher nicht halb so gut fühlen.
Jetzt reicht’s, dachte ich, nahm den Bügel samt Joggingjacke und -hose und knüllte alles in die dazugehörige Plastiktüte, die noch neben dem Sofa lag.
Ich holte tief Luft. Das wär geschafft. Weiß der Henker, was ich Ole erzählen würde, Hauptsache dieser Anzug hing hier nicht mehr.
Kopfzerbrechen bereitete mir da schon eher ein Problem größeren Ausmaßes: mein Outfit für den Auftrag bei der Sehen-und-gesehen-werden-Party auf dem Süllberg. Nur noch eineinhalb Wochen.
Es musste dringend etwas Neues her. Aber wer würde mit mir shoppen gehen? Ilka war mit Max beschäftigt, Hanne mit ihrem Haushalt und allen Personen, die dazugehörten, und Birgit, die mir das alles eingebrockt hatte, ging zwar ans Telefon, flüsterte aber in den Hörer, sie sei gerade bei einer Untersuchung und könne nicht, dann legte sie auf. Also zog ich mit Waltraud los.
Auf dem Weg in die Stadt dachte ich über Birgits Untersuchung nach und fragte per SMS, ob bei ihr alles okay sei. Normalerweise brauchte man bei ihr nur bis acht zu zählen und hatte eine Antwort. Birgit konnte, wenn es darauf ankam, mit geschlossenen Augen SMS schreiben.
Doch jetzt kam nichts. Was für eine Untersuchung konnte das sein? War sie etwa schwanger? Ab wann konnte man so etwas denn »untersuchen«?
Eineinhalb Stunden später stand ich bei Hugo Boss in der Umkleidekabine und betrachtete mich kritisch im Spiegel. Die Sportsachen hatte ich theatralisch humpelnd zurückgegeben. Die Ausrede, ich hätte akute Knieprobleme, und der Arzt hätte mir von jeglicher Bewegung abgeraten, war so glaubwürdig, dass man mir sofort einen Stuhl anbot und ein netter junger Mann mich unterhakte, um mich zurück zur Tür zu begleiten, nachdem man mir das Geld wieder ausgehändigt hatte. Hundert Meter weiter hatten sich die Knieprobleme in Luft aufgelöst. Wunder gab es immer wieder.
Allerdings musste ich einsehen, dass man sich mit Geld nicht zwingend eine bessere Figur erkaufen konnte – zumindest nicht auf die Schnelle. Das Kleid hing an mir herab wie ein Lappen, und ich war mir sicher, dass Hugo sich das anders vorgestellt hatte, als er das teure Stück entworfen hatte.
»Vielleicht versuchen Sie es mal mit einem Push-up«, hörte ich eine Verkäuferin hinter mir sagen, die ich nicht um Rat gebeten hatte.
»Vielen Dank. Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen. Da gibt es nur ein Problem«, sagte ich zu ihr, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie man sein süßestes Lächeln lächelt, selbst wenn man würgen musste. »Ich habe bereits einen an.«
Ich zog das Kleid hastig wieder aus und verließ den Laden ohne Ergebnis, als auch schon mein Handy klingelte: Birgit.
»Hey, alles gut bei dir? Muss ich mir Sorgen machen?«, platzte es aus mir heraus.
»Ano … Ich hab eine … Ano…« Sie zog hörbar die Nase hoch.
»Birgit?«
»Eine Anomalie.«
In Bruchteilen von Sekunden scannte ich Birgit vor meinem inneren Auge von oben bis unten durch und versuchte mir vorzustellen, wo es an dieser perfekten Frau eine Anomalie geben könnte, die mir in all den Jahren nicht aufgefallen war.
»Wer hat dir denn den Blödsinn eingeredet? Wo warst du denn nur?«
»Das ist kein Blödsinn, sonst wäre ich ja längst schwanger.«
Jetzt putzte sie sich gut hörbar die Nase.
»Okay. Du sagst mir jetzt, wo du bist, und ich komme, und dann wird alles gut.«
»Nichts wird gut.«
»Einverstanden. Nichts wird gut. Und wo bist du?«
»In der Hafencity. Am Steg, unten neben der Elbphilharmonie, Kaiserkai oder so … keine Ahnung. Sieht ja eh alles gleich aus hier.«
»Du bleibst da sitzen und rührst dich nicht vom Fleck, verstanden?«
Nach fünfzehn Minuten war ich um zwei Erkenntnisse reicher: Ich wusste, dass mein Deo nichts taugte und warum mir ihre Anomalie nicht aufgefallen war. Sie saß nämlich im Eierstock, um genau zu sein, betraf sie die Eizellen an sich. Die hatte
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