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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Hersteller auch für seine Karabiner. Sie ist zirka 42 Zentimeter lang, wobei sich der Großteil des Gehäuses und der Schlitten hinter dem Griff befinden. Sie erinnerte mich an die Spielzeugpistolen, die wir uns als Kinder aus Gummibändern, Wäscheklammern und Eisstielen bastelten, um uns mit Büroklammern zu beschießen.
    Doch mit Gummibändern und Eisstielen konnten wir nicht mehr als zehn Büroklammern pro Minute abschießen. Im Automatikbetrieb war die M-110 in der Lage, in ungefähr fünfzehn Sekunden einhundert Kugeln auszuspucken.
    Der Alte nahm eine der Pistolen aus der Tasche und legte sie flach auf seine Hand. Er wog sie abschätzend, und seine blassen Augen leuchteten, als wären sie wie die Waffe geölt worden. Er leckte sich die Lippen, als könne er die Schüsse schmecken.
    »Gibt’s hier bald Krieg oder was?« fragte ich.
    Bubba warf mir einen Blick zu und fing an, das Geld in der Papiertüte zu zählen.
    Der Mann grinste die Pistole an, als sei sie ein kleines Kätzchen. »Die Verfolger sind immer und überall. Man muß auf der Hut sein, mein Lieber.« Er fuhr mit den Fingerspitzen über den Rahmen. »Ja, ja, meine Schöne«, säuselte er.
    Da erkannte ich ihn.
    Es war Leon Trett, der Kinderschänder, von dem mir Broussard ein Bild gegeben hatte, als Amanda McCready gerade verschwunden war. Der Mann wurde verdächtigt, mehr als fünfzig Kinder mißbraucht und zwei umgebracht zu haben.
    Und wir hatten ihn gerade mit Waffen beliefert.
    Wunderbar.
    Plötzlich blickte er mir ins Gesicht, so als hätte er meine Gedanken erraten. In seinen wäßrigen, blassen Augen kam ich mir klein und kalt vor.
    »Munition?« fragte er.
    »Wenn ich fertig bin«, erwiderte Bubba. »Bring mich hier nicht beim Zählen durcheinander.«
    Er machte einen Schritt auf Bubba zu. »Nein, nein. Nicht erst zum Schluß«, sagte Leon Trett. »Jetzt.«
    Bubba erwiderte: »Halt’s Maul. Ich zähle gerade.« Ich konnte ihn murmeln hören: »… vierhundertfünfzig, sechzig, fünfundsechzig, siebzig, fünfundsiebzig…«
    Leon Trett schüttelte mehrmals den Kopf, als würde die Munition dadurch auftauchen, als könne er Bubba dadurch umstimmen.
    »Jetzt«, sagte Trett. »Jetzt. Ich will die Munition jetzt haben. Ich hab’ dafür bezahlt.«
    Er griff nach Bubbas Arm, und Bubba schlug ihm mit dem Handrücken gegen die Brust, so daß er gegen den kleinen Tisch unter dem Fenster fiel.
    »Du Arschloch!« Bubba hörte auf zu zählen und schob die Geldscheine zusammen. »Jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen!«
    »Gib mir meine Patronen«, jammerte Trett. Seine Augen wurden feucht, und seine Stimme klang wie die eines beleidigten achtjährigen Kindes. »Gib sie mir.«
    »Leck mich.« Bubba fing von neuem an, die Scheine zu zählen.
    Tretts Augen füllten sich mit Tränen. Er nahm die Waffe von einer Hand in die andere.
    »Was ist denn los, mein Schatz?«
    Ich drehte mich zu der Stimme um, die gerade gesprochen hatte, und erblickte die dickste Frau, die ich je gesehen hatte. Sie war nicht einfach nur eine riesige Amazone, sie war ein massiger Yeti mit zotteligem grauem Haar, das mindestens zehn Zentimeter in die Höhe stand und dann seitlich am Kopf herunterfiel, ihre Wangenknochen und Augenwinkel verdeckte und wie Urwaldmoos auf ihre breiten Schultern wallte.
    Sie war von Kopf bis Fuß in Dunkelbraun gekleidet. Unter den Falten der lockeren Kleidung schienen die Fettmassen zu wabbeln und zu tanzen, während sie mit einer .38 in der riesigen Pranke in der Küchentür stand.
    Roberta Trett. Das Foto wurde ihr nicht gerecht.
    »Die wollen mir nicht die Munition geben«, jammerte Leon wieder. »Das Geld haben sie genommen, aber die Munition wollen sie mir nicht geben.«
    Roberta machte einen Schritt in die Küche und sah sich mit einer langsamen Kopfbewegung von rechts nach links um. Der einzige, der sie noch nicht bemerkt hatte, war Bubba. Er saß noch immer mitten im Zimmer, hielt den Kopf gesenkt und versuchte, sein Geld zu zählen.
    Roberta richtete die Waffe lässig in meine Richtung. »Gib uns die Munition.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Hab’ ich nicht.«
    »Hey, du!« Sie winkte Bubba mit der Pistole. »Hey!«
    »…achthundertfünfzig«, zählte Bubba, »achthundertsechzig, achthundertsiebzig…«
    »Hey!« rief Roberta noch einmal. »Guck mich an, wenn ich mit dir rede!«
    Bubba bewegte den Kopf ein wenig in ihre Richtung, hielt den Blick jedoch auf das Geld gesenkt. »Neunhundert. Neunhundertzehn,

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