Kein Kinderspiel

oder?«
    Ein Ausdruck des Schmerzes flammte kurz in ihren Augen auf. »Ja.«
    »Komm mal ins Wohnzimmer!« Ich zog sie hinter mir her. »Los, komm mal!«
    Sie sah erst mich, dann Bubba an, der sich auf den Absätzen zurücklehnte und mit seinen dicken, gummiartigen Lippen ein Bazooka zu einem riesigen rosa Ballon aufblies.
    »Was habt ihr beiden getrunken?«
    »Nichts«, erwiderte ich. »Los, komm!«
    Wir machten das Licht im Wohnzimmer an und erzählten ihr von unserem Ausflug zu den Tretts.
    »Ihr seid zwei bescheuerte Idioten«, sagte sie schließlich. »Zwei kleine Spinner, die glauben, sie könnten es mit den Bösen aufnehmen.«
    »Schon gut, schon gut«, unterbrach ich sie. »Angie, was hatte Samuel Pietro an dem Tag an, als er verschwand?«
    Sie schloß für einen Moment die Augen. »Jeans, ein weißes T-Shirt, darüber ein rotes Sweatshirt, einen blauroten Parka, schwarze Handschuhe und hohe Basketballschuhe.« Sie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ja, und ?«
    »Ist das alles?« fragte Bubba.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ja. Und natürlich diese Baseballkappe von den Red Sox.«
    Ich sah Bubba an, und er nickte. Dann streckte er die Hände aus.
    »Ich kann nichts machen in der Sache. Das sind meine Waffen da in dem Haus.«
    »Kein Problem«, beruhigte ich ihn. »Wir rufen Poole und Broussard an.«
    »Warum bitte rufen wir Poole und Broussard an?« fragte Angie.
    »Sie haben gesehen, daß Trett eine Kappe von den Red Sox trug?« wiederholte Poole, der uns in einem Cafe in Wollaston gegenübersaß.
    Ich nickte. »Die drei bis vier Nummern zu klein für ihn war.«
    »Und das verleitet Sie zu der Annahme, daß sie Samuel Pietro gehört.«
    Ich nickte erneut.
    Broussard fragte Angie: »Sind Sie derselben Meinung?«
    Sie zündete sich eine Zigarette an. »Die Indizien passen. Die Tretts wohnen in Germantown, das liegt direkt neben Weymouth und ist nur wenige Meilen von dem Spielplatz am Nantasket Beach entfernt, wo Pietro das letzte Mal gesehen wurde. Und die Steinbrüche, die sind auch nicht allzuweit von Germantown entfernt, und…«
    »O bitte nicht!« Broussard zerknüllte eine leere Zigarettenschachtel und warf sie auf den Tisch. »Wieder Amanda McCready? Ihr glaubt, nur weil die Tretts fünf Meilen von den Steinbrüchen entfernt leben, müssen sie sie umgebracht haben? Meint ihr das ernst?«
    Er sah zu Poole hinüber, und beide schüttelten den Kopf.
    »Sie haben uns die Bilder von den Tretts und von Corwin Earle gezeigt«, konterte Angie. »Wissen Sie das noch? Sie haben uns erzählt, Corwin Earle wollte ein Kind für die Tretts besorgen. Sie haben uns gesagt, wir sollten die Augen nach ihnen offenhalten. Das haben Sie doch gesagt, Detective Broussard, oder etwa nicht?«
    »Streifenpolizist«, erinnerte Broussard sie. »Detective bin ich nicht mehr.«
    »Tja«, sagte Angie lakonisch, »vielleicht werden Sie’s ja wieder, wenn wir bei den Tretts vorbeifahren und uns dort ein bißchen umsehen.«
    Das Haus von Leon Trett lag inmitten eines Feldes aus hohem Gras und war ungefähr zehn Meter von der Straße entfernt. Durch den bernsteingelben Regen sah das kleine weiße Haus aus, als habe es jemand mit schmutzigen Fingern beschmiert. Vor dem Gebäude war ein kleiner Garten angelegt worden; die Blumen begannen gerade zu knospen oder zu blühen. Es hätte hübsch aussehen können, doch wirkte ein so sorgfältig gepflegtes Beet mit violetten Krokussen, weißen Schneeglöckchen, leuchtendroten Tulpen und gelben Forsythien im Schatten eines dermaßen verwahrlosten, verfallenen Hauses eher beunruhigend.
    Mir fiel wieder ein, daß Roberta Trett früher Floristin gewesen war, offenbar eine ganz erfolgreiche, wenn sie es geschafft hatte, der harten Erde und dem langen Winter diese Farbenpracht abzutrotzen. Ich konnte es einfach nicht verstehen: diese schwerfällige Frau, die gestern abend die Pistole auf Bubba gerichtet und den Hahn ihrer .38 gespannt hatte, sollte eine Begabung für das Sanfte, Filigrane haben, sollte in der Lage sein, etwas Lebendiges aus der Erde zu zaubern und zarte Blütenblätter und zerbrechliche Schönheit hervorzubringen.
    Das kleine Haus bestand nur aus Erdgeschoß und erstem Stockwerk, und die oberen Fenster zur Straße hin waren mit schwarzem Holz verschalt. Die Schindeln unter den Fenstern waren zerbrochen oder fehlten an mehreren Stellen, so daß das obere Drittel des Hauses wie ein dreieckiges Gesicht mit schwarzen Augen und einem schief lächelnden Mund aussah.
    Wieder