Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
Gärten scheinen menschenleer zu sein, und die Luft ist so frisch, dass ich bibbere. Vielleicht bin ich nur nervös. Vielleicht sind das die Nachwirkungen des Schocks.
Oder vielleicht liegt es daran, dass ich mitten im Niemandsland stehe, nicht weiß, was zum Teufel ich hier eigentlich mache, während mein Leben um mich herum in Scherben geht.
Ich hole mein Handy hervor, um nicht so allein zu sein. Das Gefühl, es in der Hand zu halten, tröstet mich ein wenig, wenn auch nicht genug. Ich lese die SMS der Unbekannten Nummer noch mehrmals, um mich zu quälen, dann entwerfe ich eine Nachricht für Magnus. Nach einigen Fehlstarts habe ich die richtigen Worte gefunden.
Hi. Wie geht es dir? P
Ohne Küsschen.
Als ich Senden drücke, brennen meine Augen. Es ist eine einfache Nachricht, doch mir ist, als lasteten auf jedem Wort doppelte, dreifache, sogar vierfache Bedeutungen mit einem herzerweichenden Subtext, den er verstehen mag oder nicht. 81
Hi bedeutet: Hi, hast du mich betrogen? Hast du? Bitte, BITTE mach, dass das nicht wahr ist.
Wie bedeutet: Ich wünschte, du würdest mich anrufen. Ich weiß, du bist auf deinem Junggesellenabschied, aber es würde mich wirklich beruhigen, einfach nur mal deine Stimme zu hören und zu wissen, dass du mich liebst und so etwas nie tun könntest.
Geht bedeutet: O Gott, ich kann es nicht ertragen. Was ist, wenn es stimmt? Was soll ich tun? Was soll ich sagen? Aber andererseits, wenn es NICHT stimmt und ich dich grundlos verdächtigt habe …
»Poppy.« Sam dreht sich zu mir um, und ich erschrecke.
»Ja! Hier.« Ich nicke, stecke mein Handy weg. Jetzt muss ich mich konzentrieren. Ich muss Magnus aus meinen Gedanken verdrängen. Ich muss nützlich sein.
»Das hier sind Mark und Robbie. Sie arbeiten für Vicks.«
»Sie ist unterwegs hierher.« Mark wirft einen Blick auf sein Handy, als wir alle die Stufen hinaufgehen. »Sir Nicholas bleibt vorerst, wo er ist. Wir denken, er sollte lieber in Berkshire bleiben, falls ihn jemand aufstöbern will.«
»Nick sollte sich nicht verstecken.« Sam runzelt die Stirn.
»Nicht verstecken. Nur den Ball flach halten. Wir wollen nicht, dass er nach London hetzt, als gäbe es eine Krise. Er spricht heute Abend auf einer Dinnerparty, wir treffen uns morgen, um zu sehen, wie die Lage ist. Was die Tagung angeht, machen wir vorerst weiter wie geplant. Eigentlich sollte Sir Nicholas morgen früh hier eintreffen, aber wir müssen erst mal sehen …«, er zögert und verzieht das Gesicht, »… was so passiert.«
»Was ist mit der einstweiligen Verfügung?«, sagt Sam. »Ich habe mit Julian gesprochen, er zieht alle Register …«
Robbie seufzt.
»Wir wissen jetzt schon, dass es nichts bringen wird. Ich meine, wir werden uns natürlich um eine einstweilige Verfügung bemühen, aber …«
Mitten im Satz bricht er ab, als wir in die große Lobby kommen. Wow. Diese Tagung ist eine völlig andere Liga als unser Jahrestreffen der Physiotherapeuten. Überall hängen riesige Logos von White Globe Consulting, und in der ganzen Lobby gibt es große Bildschirme. Offenbar filmt jemand drinnen in der Halle, denn man sieht Bilder von Leuten, die in Reihen sitzen. Direkt vor uns befinden sich zwei geschlossene Doppeltüren, und dahinter hört man Lachen, gefolgt von – zehn Sekunden später – Gelächter auf den Bildschirmen.
Die Lobby ist leer, bis auf einen Tisch mit ein paar einsamen Namensschildchen, hinter dem ein gelangweilt wirkendes Mädchen lümmelt. Sie richtet sich auf, als sie uns sieht, und lächelt mich unsicher an.
»Die haben ihren Spaß«, sagt Sam mit Blick auf die Bildschirme.
»Malcolm spricht«, sagt Mark. »Er macht seine Sache gut. Wir sind hier drinnen.« Er führt uns in einen Nebenraum und schließt die Tür fest hinter uns.
»Also, Poppy.« Robbie wendet sich mir freundlich zu. »Sam hat uns eingeweiht, was Ihre … Theorie angeht.«
»Es ist nicht meine Theorie«, sage ich entsetzt. »Ich weiß gar nichts davon! Ich habe nur diese Nachrichten bekommen und mich gefragt, ob sie vielleicht wichtig sein könnten, und dann hat Sam mich gefragt …«
»Ich glaube, sie hat da etwas entdeckt.« Sam sieht Mark und Robbie an, als wollte er sie herausfordern, ihm zu widersprechen. »Das Memo wurde uns untergeschoben. Darin sind wir uns alle einig.«
»Das Memo ist … untypisch«, ergänzt Robbie.
»Untypisch?« Sam sieht aus, als würde er gleich explodieren. »Er hat es verdammt noch mal nicht geschrieben! Jemand anders hat es
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