Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)

Sir Nicholas wissentlich in Misskredit gebracht hat. Von offizieller Firmenseite wird dies jedoch bisher bestritten. Unser Reporter Damien Standforth geht der Frage nach: Ist Sir Nicholas ein Schurke … oder das Opfer einer Schmutzkampagne?«
    » Was ?« Vicks’ Stimme gellt durch den Saal. »Was zum …«
    Allgemeines Stimmengewirr hebt an, unterbrochen von »Schscht!« und »Zuhören!« und »Mund halten!« Jemand hat die Lautstärke voll aufgedreht. Sprachlos starre ich den Bildschirm an.
    Hat Sam Beweise gefunden? Hat er sie von irgendwo hervorgezaubert? Plötzlich piept mein Handy, und ich reiße es aus meiner Tasche. Es ist eine SMS von Sam.
    Wie hat Vicks reagiert?
    Ich sehe Vicks an und schrecke zurück.
    Sie sieht aus, als wollte sie jemanden bei lebendigem Leib zerfleischen.
    »White Globe Consulting übt seit drei Jahrzehnten großen Einfluss auf die Welt der Wirtschaft aus …«, sagt eine Stimme aus dem Off, begleitet von einer Großaufnahme des White-Globe-Consulting-Gebäudes.
    Meine Daumen sind derart voller Adrenalin, dass sich die Nachricht fast von selbst schreibt.
    Waren Sie das?
    Das war ich.
    Sie haben selbst Kontakt zu ITN aufgenommen?
    Korrekt.
    Ich dachte, die Techniker hätten keinen Beweis gefunden. Was ist passiert?!
    Haben sie auch nicht.
    Ich schlucke, versuche zu begreifen. Ich verstehe nichts von PR . Ich bin Physiotherapeutin. Aber selbst ich würde sagen, man ruft ITN nicht mit einer Verleumdungsgeschichte an, ohne diese irgendwie belegen zu können.
    Wie
    Als ich lostippe, merke ich, dass ich nicht mal weiß, wie ich die Frage formulieren soll. Also schicke ich sie so ab, wie sie ist. Eine Weile bleibt alles still – dann kommt eine zweiteilige SMS in meinem Handy an.
    Staunend blinzle ich. Das ist die längste Nachricht, die mir Sam je geschrieben hat. Eine Steigerung um etwa zweitausend Prozent.
    Ich bin selbst an den Sender herangetreten. Ich stehe zu meiner Aussage. Morgen gebe ich denen ein Exklusivinterview über das ursprüngliche Memo, über den Vorstand, der sich von Nick distanziert, die ganze Geschichte. Es ist ein abgekartetes Spiel. Die Heuchelei der Firma geht zu weit. Die Wahrheit muss ans Licht. Ich wollte, dass Malcolm mitmacht, aber er kann nicht. Er hat drei Kinder. Das Risiko ist zu groß. Also bin ich ganz allein.
    Es summt in meinem Kopf. Sam setzt alles aufs Spiel. Er lässt die anderen auffliegen. Ich kann nicht glauben, dass er so etwas Extremes tut. Aber gleichzeitig … kann ich es doch.
    Das ist ein ziemlicher Hammer.
    Ich habe keine Ahnung, was ich sonst schreiben soll. Ich stehe unter Schock.
    Irgendjemand musste den Mumm haben, Nick beizustehen.
    Ich starre seine Worte an, lege die Stirn in Falten, denke es durch.
    Aber es beweist nichts, oder? Es ist nur Ihr Wort.
    Einen Moment später antwortet er:
    Es weckt Zweifel an der Geschichte. Das reicht. Wo sind Sie jetzt?
    Im Konferenzsaal.
    Weiß jemand, dass Sie mir schreiben?
    Ich blicke zu Vicks hinüber, die wortreich auf einen Mann einredet, während sie gleichzeitig ein Handy an ihr Ohr hält. Zufällig sieht sie in meine Richtung, und ich weiß nicht, ob es an meinem Gesichtsausdruck liegt, aber ihre Augen werden schmaler. Sie betrachtet mein Telefon, dann sieht sie mir wieder ins Gesicht. Ihr Blick durchbohrt mich.
    Glaube ich nicht. Noch nicht.
    Können Sie weg, ohne dass jemand was merkt?
    Ich zähle bis drei, dann sehe ich mich im Saal um, als würde ich mich für die Lampen interessieren. Vicks steht am Rande meines Blickfelds. Inzwischen starrt sie mich unverhohlen an. Ich halte mein Handy tiefer, damit sie es nicht sehen kann, und schreibe:
    Wo genau sind Sie?
    Draußen.
    Keine große Hilfe.
    Mehr weiß ich nicht. Keine Ahnung, wo ich bin.
    Gleich darauf kommt die nächste:
    Es ist dunkel, falls Sie es nicht wussten. Stehe auf dem Rasen.
    Haben Sie großen Ärger?
    Es kommt keine Antwort. Ich schätze, das heißt wohl: Ja.
    Okay. Am besten sehe ich Vicks gar nicht an, gähne nur, kratze mich unbekümmert an der Nase, mache auf dem Absatz kehrt und trete hinter diese große Gruppe von Leuten. Dann ducke ich mich hinter dieser dicken, fetten Säule.
    Und spähe dahinter hervor.
    Vicks sieht sich frustriert um. Leute versuchen, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch sie verscheucht sie wie Fliegen. Fast kann ich in ihren Augen sehen, wie sie kalkuliert. Wie viel Hirnvolumen widmet sie dem sonderbaren Mädchen, das vielleicht etwas wissen könnte, vielleicht aber auch eine falsche Fährt