Kein Kuss unter dieser Nummer: Roman (German Edition)
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Morgen: der Welt die frohe Botschaft überbringen, dass die Hochzeit abgesagt ist, mit den Nebenwirkungen umgehen, zusehen, wie Annalise versucht, nicht vor Freude loszuquieken etc. pp.
Ich habe allen, die ich kenne, meine neue Handynummer gesimst, und ein paar nette Kurznachrichten sind schon zurückgekommen – nur das mit der Hochzeit habe ich noch niemandem gegenüber erwähnt. Das kann alles bis morgen warten.
Natürlich will ich mir nichts ansehen, was mit Hochzeiten zu tun hat 98 , also entscheide ich mich für Trickfilme, die sich als die größten Schnulzen von allen entpuppen. Ich sehe Toy Story 3 , 99 Oben 100 – und gegen Mitternacht bin ich bei Findet Nemo angekommen. Ich habe mich in meinem uralten Pyjama auf dem Sofa in eine flauschige Decke gerollt, den Weißwein griffbereit. Meine Haare sind ganz ölig von der Kur, und ich habe die verquollensten Augen im ganzen Universum. Bei Findet Nemo muss ich sowieso immer heulen, aber diesmal bin ich ein schniefendes Wrack, bevor Nemo überhaupt verloren geht. 101 Gerade überlege ich, ob ich mir was weniger Brutales raussuchen sollte, als es an der Tür klingelt.
Was komisch ist. Ich erwarte niemanden. Es sei denn … Kommen Toby und Tom zwei Tage zu früh? Es sähe ihnen ähnlich, gegen Mitternacht einzutrudeln, weil sie mit irgendeinem Billig-Bus gefahren sind. Die Gegensprechanlage ist vom Sofa aus bequem zu erreichen, also nehme ich den Hörer, halte Findet Nemo an und sage zögernd: »Ja bitte?«
»Hier ist Magnus.«
Magnus?
Kerzengerade setze ich mich auf, als hätte ich einen Stromschlag bekommen. Magnus. Hier. Vor meiner Tür. Hat er die Nachricht gehört?
»Hi.« Ich schlucke, versuche, mich zusammenzureißen. »Ich dachte, du bist in Brügge.«
»Ich bin wieder da.«
»Okay. Und wieso benutzt du nicht deinen Schlüssel?«
»Ich dachte, du hast vielleicht das Schloss auswechseln lassen.«
»Oh.« Ich streiche eine ölige Locke aus meinen verheulten Augen. Also hat er die Nachricht abgehört. »Tja … hab ich aber nicht.«
»Kann ich denn raufkommen?«
»Meinetwegen.«
Ich lege den Hörer auf und sehe mich um. Scheiße. Es ist ein Schweinestall. Einen panischen Moment lang spüre ich den Drang, aufzuspringen, die Magnum-Verpackungen wegzuwerfen, mir meine Haarkur rauszuwaschen, die Kissen aufzuschütteln, etwas Eyeliner aufzutragen und in etwas hübsches Gemütliches zu schlüpfen. So würde Annalise es machen.
Vielleicht hält mich gerade das davon ab. Es ist doch völlig egal, ob ich verquollene Augen habe und eine Kur in den Haaren. Ich werde diesen Mann nicht heiraten, also ist es unerheblich, wie ich aussehe. 102
Ich höre seinen Schlüssel im Schloss und stelle trotzig Findet Nemo wieder an. Schließlich geht mein Leben weiter. Ich habe schon lange genug auf ihn gewartet. Ich stelle etwas lauter und schenke mir Wein nach. Ihm werde ich keinen anbieten. Das kann er sich abschminken. Und auch kein Magnum. 103
Die Tür gibt ein vertrautes Quietschen von sich, und ich weiß, dass er im Zimmer ist, halte meinen Blick jedoch stur auf den Bildschirm gerichtet.
»Hi.«
»Hi.« Ich zucke mit den Schultern, als wollte ich sagen: »Mir doch egal.«
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Magnus angestrengt ausatmet. Er sieht etwas nervös aus.
»Also …«
»Also …« Das Spielchen kann ich auch.
»Poppy.«
»Poppy. Ich meine: Magnus.« Ich ziehe ein finsteres Gesicht. Er bringt mich ganz durcheinander. Aus Versehen blicke ich auf, und er kommt sofort herüber und nimmt meine Hände, genau wie damals, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.
»Lass das!« Ich knurre ihn förmlich an, reiße meine Hände an mich. »Ich will das nicht.«
»Entschuldige.« Er weicht zurück, als hätte er sich verbrüht.
»Ich weiß nicht mehr, wer du bist.« Trübsinnig starre ich Nemo und Dory an. »Du hast mich belogen. Ich kann niemanden heiraten, der ein Lügner und Betrüger ist. Also kannst du ebenso gut wieder gehen. Ich weiß gar nicht, was du hier willst.«
Magnus gibt den nächsten schweren Seufzer von sich.
»Poppy … Okay. Ich habe einen Fehler gemacht. Keine Frage. Ich gebe es zu.«
»Einen ›Fehler‹?«, wiederhole ich sarkastisch.
»Ja, einen Fehler! Ich bin nicht perfekt, okay?« Frustriert fährt er mit den Fingern durch seine Haare. »Erwartest du das von einem Mann? Perfektion? Du willst einen perfekten Mann. Glaub mir, den gibt es nicht. Und wenn du die Hochzeit deshalb absagst, weil mir ein einziger kleiner Irrtum
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