Kein Land für alte Männer
auf und schaute auf die vom Mondlicht beschienene Bajada. Totenstille. Der Mann im Bronco war noch keine drei Tage tot. Chigurh zog die Pistole aus seinem Hosenbund, drehte sich zu den beiden Männern um, schoß beide in rascher Folge einmal durch den Kopf und steckte sich die Pistole wieder in den Hosenbund. Der zweite Mann hatte sich noch halb zu dem ersten hingedreht, als dieser zu Boden gefallen war.
Chigurh trat zwischen sie, bückte sich zu dem zweiten nieder, löste dessen Schultergurt, nahm die Glock an sich, die der Mann getragen hatte, ging zurück zum Wagen, stieg ein, ließ den Motor an, wendete und fuhr aus der Caldera heraus zurück in Richtung Highway.
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III
Ich weiß nicht, ob die Polizeiarbeit so sehr vom technischen Fortschritt profitiert. Was wir an Werkzeugen in die Hand kriegen, kriegen die auch. Nicht, dass man das Rad zurückdrehen kann. Will man ja auch gar nicht. Früher hatten wir diese alten Motorola-Gegensprechfunkgeräte. Jetzt haben wir schon seit einigen Jahren diese Hochfrequenz-Dinger. Aber einiges hat sich nicht geändert. Der gesunde Menschenverstand hat sich nicht geändert. Manchmal sag ich meinen Deputys, sie sollen einfach den Brotkrumen folgen. Ich mag immer noch die alten Colts. Den .4440. Wenn ihn das nicht stoppt, schmeißt du das Ding besser hin und gehst stiften. Ich mag die alte Winchester 97. Mir gefällt, dass sie einen Hahn hat. Ich mag’s nicht, wenn ich an einer Waffe den Sicherungshebel suchen muss. Manches ist natürlich auch schlechter geworden. Mein Wagen zum Beispiel ist sieben Jahre alt. Hat die Zweitausender-Maschine. Den Motor kriegt man heute nicht mehr. Ich hab auch mal einen von den neuen gefahren. Die kämen nicht mal einem dicken Kerl davon. Ich hab dem Mann gesagt, ich würd lieber bei dem bleiben, was ich hab. Das ist nicht immer eine gute Devise. Aber auch nicht immer eine schlechte.
Da ist noch was, was ich nicht weiß. Die Leute fragen mich öfter danach. Ganz ausschließen würd ich’s natürlich nicht. Aber ich möchte das nicht unbedingt nochmal sehen. Nochmal miterleben. Diejenigen, die wirklich in die Todeszelle gehören, kommen sowieso nie dorthin. Das glaub ich jedenfalls. Von so was behält man bestimmte Sachen in Erinnerung. Zum Beispiel haben die Leute nicht gewusst, was sie anziehen sollen. Ein oder zwei sind in Schwarz gekommen, und das war in Ordnung, denk ich. Von den Männern sind welche in Hemdsärmeln gekommen, und das hat mich irgendwie gestört. Ich weiß nicht recht, ob ich Ihnen sagen könnte, warum.
Trotzdem haben sie anscheinend gewusst, was sie tun müssen, und das hat mich überrascht. Die meisten, das weiß ich, waren vorher noch nie bei einer Hinrichtung gewesen. Als es vorbei war und er zusammengesackt da drin saß, hat man den Vorhang um die Gaskammer zugezogen, und die Leute sind einfach aufgestanden und im Gänsemarsch rausgegangen. Wie aus der Kirche oder so. Das ist mir einfach merkwürdig vorgekommen. Es war ja auch merkwürdig. Ich muss wohl sagen, dass es wahrscheinlich der ungewöhnlichste Tag war, den ich je erlebt hab.
Eine ganze Menge Leute sind nicht dafür. Sogar von denen, die im Todestrakt arbeiten. Sie würden sich wundern. Einige waren’s, glaube ich, irgendwann mal. Da sieht man einen manchmal jahrelang jeden Tag, und eines Tages führt man den Mann dann einen Flur entlang und richtet ihn hin. Tja. Da würde so ziemlich jedem das Lachen vergehen. Es ist mir egal, wer es ist. Und natürlich waren einige von den Burschen nicht besonders helle. Kaplan Pickett hat mir von einem erzählt, den er betreut hat, der hat seine Henkersmahlzeit gegessen, und dazu hatte er sich was ganz Bestimmtes zum Nachtisch bestellt, was genau, weiß ich nicht mehr. Und dann wird es Zeit zu gehen, und Pickett, der fragt ihn, ob er seinen Nachtisch nicht essen will, und der Bursche antwortet, den hebt er sich für nachher auf, wenn er wiederkommt. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Pickett hat’s auch nicht gewusst.
Ich hab nie jemand töten müssen, und darüber bin ich sehr froh. Einige von den Sheriffs früher haben noch nicht mal eine Schusswaffe getragen. Viele Leute können das kaum glauben, aber es stimmt. Jim Scarborough zum Beispiel hat nie eine getragen. Den jüngeren Jim mein ich jetzt. Gaston Boykins genauso wenig. Oben in Comanche County. Ich hab schon immer gern Geschichten von den alten Hasen gehört. Hab keine Gelegenheit dazu ausgelassen. So wie die Sheriffs damals auf ihre Leute geschaut haben,
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