Kein Land für alte Männer
hinter dem Geschäft. Der Alarm an der Hintertür ging los, blieb aber unbeachtet, und Chigurh selbst hatte nicht einmal flüchtig zum vorderen Teil des Ladens hingesehen, der mittlerweile in Flammen stand.
Er hielt bei einem Motel außerhalb von Hondo, ließ sich ein Zimmer am Ende des Gebäudes geben, ging hinein und stellte seine Reisetasche aufs Bett. Er schob die Pistole unter das Kopfkissen, ging mit der Tüte des Gesundheitszentrums ins Bad und kippte den Inhalt ins Waschbecken. Er leerte seine Taschen und breitete alles auf der Ablage aus – Schlüssel, Brieftasche, die Antibiotika-Fläschchen und die Spritzen. Dann setzte er sich auf den Wannenrand, zog sich die Stiefel aus, langte nach unten, steckte den Stöpsel in die Wanne und drehte den Hahn auf. Er zog sich aus und ließ sich vorsichtig in die Wanne gleiten, während sie volllief.
Sein Bein war schwarz und blau und dick geschwollen. Es sah aus wie nach einem Schlangenbiss. Mit einem Waschlappen schwemmte er Wasser über die Wunden. Er drehte das Bein und musterte die Austrittswunde. Am Gewebe klebten kleine Stoffteilchen. Das Loch war so groß, dass er den Daumen hätte hineinstecken können. Als er aus der Wanne stieg, war das Wasser blassrosa, und aus den Wunden in seinem Bein sickerte noch immer wässrig verdünntes Blut mit Serum. Er ließ die Stiefel in das Wasser fallen, tupfte sich mit dem Handtuch trocken, setzte sich auf die Toilette und nahm die Flasche Betadin und das Päckchen Tupfer aus dem Waschbecken. Mit den Zähnen riss er das Päckchen auf, schraubte den Deckel der Flasche ab und kippte langsam etwas von dem Inhalt über die Wunden. Dann stellte er sie ab und machte sich an die Arbeit, zupfte mit Hilfe der Tupfer und der Pinzette die kleinen Stoffteilchen ab. Er drehte den Hahn des Waschbeckens auf und ruhte sich kurz aus. Dann hielt er die Spitze der Pinzette unter den Hahn, schüttelte die Tröpfchen ab und machte sich wieder an die Arbeit.
Als er fertig war, desinfizierte er die Wunde ein letztes Mal, riss mehrere Päckchen mit zehn mal zehn Zentimeter großen Tupfern auf, deckte die Einschusslöcher in seinem Bein damit ab und verband das Ganze mit Mull von einer Rolle, die für Schafe und Ziegen bemessen war. Dann stand er auf, füllte den Plastikbecher, der auf der Waschbeckenablage stand, mit Wasser und trank ihn leer. Er füllte und trank ihn noch zweimal leer. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer und streckte sich, das Bein von den Kissen gestützt, auf dem Bett aus. Von seiner leicht mit Schweiß beperlten Stirn abgesehen, gab es wenig Anzeichen dafür, dass seine Mühen ihn irgendetwas gekostet hatten.
Als er ins Badezimmer zurückkehrte, schälte er eine der Spritzen aus der Plastikverpackung, stach die Nadel durch die Versiegelung in die Phiole mit Tetracyclin, zog den Inhalt auf, bis der Glaszylinder voll war, hielt ihn ans Licht und drückte mit dem Daumen den Kolben, bis an der Spitze der Nadel ein kleines Tröpfchen austrat. Dann schnickte er mit dem Finger zweimal gegen die Spritze, beugte sich vor, stieß die Nadel in den Quadriceps seines rechten Beins und drückte langsam den Kolben hinunter.
Er blieb fünf Tage in dem Motel. Humpelte zum Essen auf den Krücken zum Café und wieder zurück. Er ließ unentwegt den Fernseher laufen und sah sich im Bett sitzend das Programm an, ohne je den Sender zu wechseln. Er sah sich alles an, was kam. Seifenopern, Nachrichten, Talkshows. Zweimal am Tag wechselte er den Verband, reinigte die Wunden mit Epsomer Bittersalzlösung und nahm die Antibiotika. Als am ersten Vormittag das Zimmermädchen kam, ging er an die Tür und sagte ihr, sie müsse sein Zimmer nicht machen, er brauche nur Seife und Handtücher. Er gab ihr zehn Dollar, sie nahm das Geld und blieb unschlüssig stehen. Er sagte ihr das Gleiche auf Spanisch, und sie nickte, steckte das Geld in ihre Schürzentasche und schob ihren Wagen über den Gehweg zurück, während er noch einen Moment stehenblieb, die Autos auf dem Parkplatz musterte und dann die Tür schloss.
Am fünften Abend kamen, als er gerade im Café saß, zwei Deputys des Sheriffbüros von Valdez County herein, setzten sich, nahmen den Hut ab, legten ihn auf den Stuhl neben sich, nahmen die Speisekarte aus dem Chromhalter und schlugen sie auf. Einer von ihnen sah ihn an. Chigurh ließ es über sich ergehen, ohne sich wegzudrehen oder den Blick zu erwidern. Sie unterhielten sich. Dann sah ihn der andere an. Dann kam die Kellnerin. Er trank seinen Kaffee
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