Kein Land für alte Männer
Treppenabsatz blieb er lauschend stehen. Als er das Zimmer der alten Frau betrat, roch er den süßlich muffigen Geruch der Krankheit und dachte einen Moment lang, sie läge vielleicht sogar im Bett. Er knipste die Taschenlampe an und ging ins Bad. Er las die Etiketten der Arzneifläschchen auf der Ablage. Er blickte zum Fenster hinaus auf die davor liegende Straße, das trübe Winterlicht der Straßenlaternen. Zwei Uhr morgens. Trocken. Kalt. Still. Er verließ das Bad und ging den Flur entlang in das kleine Zimmer im hinteren Teil des Hauses.
Er leerte ihre Kommodenschubladen auf das Bett und durchwühlte ihre Sachen, wobei er von Zeit zu Zeit ein Stück hochhielt und es im bläulichen Licht der Außenlampe musterte. Eine Haarbürste aus Plastik. Ein billiges Jahrmarktsarmband. Er wog diese Gegenstände in der Hand wie ein Medium, das anhand ihrer irgendetwas über ihre Besitzerin weissagen konnte. Er saß da und durchblätterte die Seiten eines Fotoalbums. Schulfreundinnen. Familie. Ein Hund. Ein Haus, aber nicht dieses. Ein Mann, bei dem es sich um ihren Vater handeln mochte. Er steckte zwei Bilder von ihr in seine Hemdtasche.
Das Zimmer hatte einen Deckenventilator. Er stand auf, zog an der Kette, legte sich, die Schrotflinte neben sich, aufs Bett und sah zu, wie sich die Holzblätter in dem zum Fenster einfallenden Licht langsam drehten. Nach einer Weile stand er auf, nahm den Stuhl, der vor dem Schreibtisch in der Ecke stand, und klemmte ihn leicht gekippt mit der oberen Sprosse der Rückenlehne unter die Türklinke. Dann setzte er sich aufs Bett, zog sich die Stiefel aus, legte sich hin und schlief.
Am Morgen ging er abermals oben wie unten durch das Haus und kehrte dann in das Bad am Ende des Flurs zurück, um zu duschen. Den Vorhang ließ er dabei offen, sodass das Wasser auf den Boden spritzte. Die Tür zum Flur offen und die Schrotflinte in Reichweite auf der Ablage.
Er trocknete den Verband an seinem Bein mit einem Föhn, rasierte sich, zog sich an, ging in die Küche hinunter, gab Frühstücksflocken und Milch in eine Schale und ging, während er aß, durch das Haus. Im Wohnzimmer blieb er stehen und blickte auf die Post, die unter dem Messingschlitz in der Eingangstür lag. Langsam kauend stand er da. Dann stellte er Schale und Löffel auf dem Sofatisch ab, ging durchs Zimmer, bückte sich, hob die Post auf und sah sie durch. Er setzte sich in einen Sessel an der Tür, riss die Telefonrechnung auf, drückte den Umschlag von beiden Enden her zusammen, sodass er sich leicht aufwölbte, und blies hinein.
Er überflog die Liste der Anrufe. Etwa in der Mitte stand das Terrell County Sheriff’s Department. Er faltete die Rechnung zusammen, steckte sie in den Umschlag zurück und verstaute diesen in seiner Hemdtasche. Dann sah er noch einmal die übrige Post durch. Er stand auf, ging in die Küche, nahm die Schrotflinte vom Tisch und kehrte an dieselbe Stelle zurück, an der er zuvor gestanden hatte. Dort verharrte er einen Moment lang, ehe er an einen billigen Mahagonischreibtisch trat und die oberste Schublade öffnete. Die Schublade war mit Post vollgestopft. Er legte die Schrotflinte hin, setzte sich auf den Stuhl, zog die Post heraus, stapelte sie auf dem Schreibtisch und begann sie durchzusehen.
Moss verbrachte den Tag in einem billigen Motel am Stadtrand und schlief nackt im Bett, während seine neuen Kleider auf Bügeln im Schrank hingen. Als er aufwachte, zogen sich lange Schatten über den Hof des Motels, und er rappelte sich hoch und setzte sich auf die Bettkante. Auf dem Laken ein fahler Blutfleck, so groß wie seine Hand. Auf dem Nachtschränkchen stand eine Papiertüte mit Sachen, die er in einem Drugstore in der Stadt gekauft hatte, und er nahm sie und humpelte damit ins Bad. Zum ersten Mal seit fünf Tagen duschte er, rasierte sich und putzte sich die Zähne, dann setzte er sich auf den Wannenrand und klebte frischen Verbandmull auf seine Wunden. Danach zog er sich an und bestellte sich ein Taxi.
Er stand vor der Motelrezeption, als das Taxi kam. Er stieg hinten ein, griff, als er wieder zu Atem gekommen war, nach der Tür und schlug sie zu. Im Rückspiegel betrachtete er das Gesicht des Fahrers. Wollen Sie ein bisschen Geld machen?, fragte er.
Ja. Ich will ein bisschen Geld machen.
Moss nahm fünf Hunderter, riss sie entzwei und reichte eine Hälfte über die Rückenlehne hinweg dem Fahrer. Der zählte die abgerissenen Scheine, steckte sie in seine Hemdtasche, sah Moss im Spiegel an und
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