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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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er.
Chigurh lächelte. Wir haben viel zu bereden, sagte er. Von jetzt an haben wir es mit neuen Leuten zu tun. Es wird keine Probleme mehr geben.
Was ist mit den alten Leuten passiert?
Die haben sich anderen Dingen zugewandt. Nicht jeder ist für diese Branche geeignet. Die Aussicht auf riesige Gewinne bringt manche dazu, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Sie machen sich vor, sie hätten alles unter Kontrolle, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall ist. Und es ist immer das Stehvermögen auf unsicherem Boden, womit man die Aufmerksamkeit seiner Feinde auf sich zieht. Oder von sich abhält.
Und Sie? Was ist mit Ihren Feinden?
Ich habe keine. So etwas lasse ich nicht zu.
Er blickte sich im Zimmer um. Schönes Büro, sagte er. Unaufdringlich. Er wies mit dem Kopf auf ein Gemälde an der Wand. Ist das ein Original?
Der Mann schaute auf das Bild. Nein, sagte er. Aber ich besitze das Original. Ich bewahre es in einem Tresor auf.
Ausgezeichnet, sagte Chigurh.

Die Beerdigung fand an einem kalten, windigen Märztag statt. Sie stand neben der Schwester ihrer Großmutter. Der Mann der Schwester saß, das Kinn in die Hand gestützt, in einem Rollstuhl vor ihr. Die Tote hatte mehr Freundinnen gehabt, als sie erwartet hätte. Sie war überrascht. Sie waren mit schwarz verschleierten Gesichtern gekommen. Sie legte ihrem Onkel die Hand auf die Schulter, und er griff über seine Brust nach oben und tätschelte sie. Sie hatte geglaubt, er schlafe vielleicht. Die ganze Zeit, während der Wind wehte und der Geistliche redete, hatte sie das Gefühl, jemand beobachte sie. Sie blickte sich sogar zweimal um.
Es war dunkel, als sie nach Hause kam. Sie ging in die Küche, setzte Wasser auf und nahm am Tisch Platz. Ihr war nicht nach Weinen zumute gewesen. Nun tat sie es. Sie bettete das Gesicht in die verschränkten Arme. O Mama, sagte sie.
Als sie nach oben ging und das Licht in ihrem Schlafzimmer einschaltete, saß Chigurh an dem kleinen Schreibtisch und wartete auf sie.
Sie stand in der Tür, und ihre Hand sank langsam vom Wandschalter herab. Er rührte sich nicht. Ihren Hut in der Hand, stand sie da. Schließlich sagte sie: Ich hab gewusst, dass es noch nicht vorbei ist.
Kluges Mädchen.
Ich hab’s nicht.
Was haben Sie nicht?
Ich muss mich hinsetzen.
Chigurh wies mit dem Kopf auf das Bett. Sie setzte sich, legte den Hut neben sich auf das Bett, nahm ihn dann wieder in die Hand und drückte ihn an sich.
Zu spät, sagte Chigurh.
Ich weiß.
Was ist es denn, was Sie nicht haben?
Ich glaub, Sie wissen, was ich meine.
Wie viel haben Sie denn?
Gar nichts hab ich mehr. Ich hab insgesamt ungefähr siebentausend Dollar gehabt, und das ist längst weg, und dabei sind noch jede Menge Rechnungen zu bezahlen. Meine Mutter ist heute beerdigt worden. Das hab ich auch noch nicht bezahlt.
Darüber würde ich mir keine Gedanken machen.
Ihr Blick fiel auf das Nachtschränkchen.
Er ist nicht da, sagte er.
Ihren Hut in den Armen, saß sie zusammengesackt auf dem Bett. Sie haben keinen Grund, mir was zu tun, sagte sie.
Ich weiß. Aber ich habe mein Wort gegeben.
Ihr Wort?
Ja. Wir sind hier den Toten verpflichtet. In diesem Fall Ihrem Mann.
Das ist doch verrückt.
Ich fürchte, nein.
Ich hab das Geld nicht, das wissen Sie doch.
Ja, ich weiß.
Sie haben meinem Mann Ihr Wort gegeben, dass Sie mich umbringen?
Er ist tot. Mein Mann ist tot.
Ja. Aber ich nicht.
Toten schuldet man nichts.
Chigurh legte den Kopf leicht schräg. Ach nein?, sagte er.
Wie kann man ihnen etwas schulden?
Wie kann man ihnen etwas schuldig bleiben?
Sie sind tot.
Ja. Aber mein Wort ist nicht tot. Nichts kann das ändern.
Sie können es ändern.
Das glaube ich nicht. Selbst ein Nichtgläubiger dürfte es nützlich finden, sich Gott zum Vorbild zu nehmen. Sogar sehr nützlich.
Sie sind bloß ein Gotteslästerer.
Harte Worte. Aber was geschehen ist, lässt sich nicht ungeschehen machen. Ich glaube, Sie verstehen das. Es bekümmert Sie vielleicht, das zu erfahren, aber Ihr Mann hatte die Gelegenheit, Sie vor Schaden zu bewahren, und hat sich dafür entschieden, das nicht zu tun. Er ist vor die Wahl gestellt worden, und seine Antwort lautete nein. Sonst wäre ich jetzt nicht hier.
Sie haben vor, mich umzubringen.
Es tut mir leid.
Sie legte den Hut aufs Bett, drehte sich zur Seite und blickte zum Fenster hinaus. Das frische Grün der Bäume im Garten, die sich im Licht der Neonlampe im Abendwind bogen und wieder aufrichteten. Ich weiß nicht, was ich je verbrochen hab, sagte sie. Ich

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