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Kein Land für alte Männer

Kein Land für alte Männer

Titel: Kein Land für alte Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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weiß es wirklich nicht.
Chigurh nickte. Wahrscheinlich doch, sagte er. Es gibt für alles einen Grund.
Sie schüttelte den Kopf. Wie oft hab ich genau diese Worte gesagt. Das tu ich nie wieder.
Ihr Glaube ist Ihnen abhandengekommen.
Mir ist alles abhandengekommen, was ich je gehabt hab. Mein Mann wollte mich umbringen?
Ja. Gibt es irgendwas, was Sie sagen möchten?
Zu wem?
Ich bin der Einzige, der da ist.
Ihnen hab ich nichts zu sagen.
Das wird schon alles. Machen Sie sich mal keine Sorgen.
Was?
Ich sehe Ihren Gesichtsausdruck, sagte er. Es macht keinen Unterschied, was für ein Mensch ich bin, wissen Sie. Sie müssen sich nicht stärker vor dem Sterben fürchten, weil Sie mich für einen bösen Menschen halten.
So wie ich Sie da hab sitzen sehen, hab ich gewusst, dass Sie verrückt sind, sagte sie. Ich hab genau gewusst, was mir bevorsteht. Auch wenn ich’s nicht hätt sagen können.
Chigurh lächelte. Es ist schwer zu begreifen. Ich sehe, wie die Leute damit zu kämpfen haben. Was für ein Gesicht sie machen. Sie sagen immer dasselbe.
Was denn?
Sie sagen: Sie müssen das nicht tun.
Sie müssen ja auch nicht.
Es hilft allerdings nicht, oder?
Nein.
Warum sagen Sie’s dann?
Ich hab das noch nie gesagt.
Ich meine, überhaupt irgendwer von euch.
Es gibt nur mich, sagte sie. Es ist niemand anders da.
Ja. Natürlich.
Sie sah die Waffe an. Wandte sich ab. Sie hatte den Kopf gesenkt, ihre Schultern bebten. O Mama, sagte sie. Es war nicht Ihre Schuld.
Sie schüttelte schluchzend den Kopf.
Sie haben nichts getan. Es war einfach Pech.
Sie nickte.
Das Kinn in die Hand gestützt, beobachtete er sie. Na schön, sagte er. Mehr kann ich beim besten Willen nicht tun.
Er streckte ein Bein aus, griff in seine Tasche, zog ein paar Münzen hervor, nahm eine und hielt sie hoch. Er drehte sie um. Damit sie sah, dass es gerecht zuging. Er hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger, wog sie, schnippte sie in die Luft, fing sie wieder auf und klatschte sie sich auf den Unterarm. Kopf oder Zahl, sagte er.
Sie sah ihn an, seinen ausgestreckten Unterarm. Was?, sagte sie.
Kopf oder Zahl.
Das mach ich nicht.
Doch, das werden Sie. Kopf oder Zahl.
Gott will bestimmt nicht, dass ich das tue.
Aber natürlich. Sie sollen versuchen, sich zu retten. Kopf oder Zahl. Das ist Ihre letzte Chance.
Kopf, sagte sie.
Er nahm die Hand weg. Die Münze zeigte mit der Zahl nach oben.
Tut mir leid.
Sie gab keine Antwort.
Vielleicht ist es am besten so.
Sie wandte den Blick ab. Sie tun so, als war es die Münze. Dabei sind Sie es.
Es hätte auch anders ausgehen können.
Das hat nicht die Münze entschieden. Sondern Sie.
Vielleicht. Aber sehen Sie’s mal von meinem Standpunkt aus. Ich bin auf die gleiche Weise hergekommen wie die Münze.
Sie schluchzte leise und gab keine Antwort.
Für Dinge an einem gemeinsamen Ziel gibt es auch einen gemeinsamen Weg. Er ist nicht immer leicht zu erkennen. Aber es gibt ihn.
Alles ist anders gekommen, als ich es mir je vorgestellt hab, sagte sie. In meinem Leben gibt’s nicht das Geringste, was ich hätte voraussehen können. Das hier nicht, und auch sonst nichts.
Ich weiß.
Sie hätten mich sowieso nicht laufen lassen.
Das lag nicht in meiner Hand. Jeder Augenblick im Leben bildet eine Abzweigung, und jeder verlangt eine Entscheidung. Irgendwo haben Sie eine Wahl getroffen. Aus der sich alles bis hierher ergeben hat. Da wird peinlich genau Buch geführt. Die Form ergibt sich. Keine Linie lässt sich ausradieren. Ich habe nicht geglaubt, dass Sie die Bewegung einer Münze beeinflussen können. Wie denn auch? Der Weg eines Menschen durch die Welt ändert sich selten, und noch seltener ändert er sich abrupt. Und die Form Ihres Weges war von Anfang an sichtbar.
Sie schluchzte. Sie schüttelte den Kopf.
Aber obwohl ich Ihnen von vornherein hätte sagen können, wie das Ganze ausgehen würde, fand ich es nicht zu viel verlangt, Ihnen einen letzten Hoffnungsschimmer zu verschaffen, um Ihr Herz zu erheben, ehe der Vorhang fällt, die Dunkelheit. Verstehen Sie?
O Gott, sagte sie. O Gott.
Tut mir leid.
Sie sah ihn ein letztes Mal an. Sie müssen das nicht, sagte sie. Sie müssen nicht. Sie müssen nicht.
Er schüttelte den Kopf.
Sie verlangen von mir, dass ich mich verwundbar mache, und das geht auf keinen Fall. Ich habe nur eine Art zu leben. Sie lässt keine Sonderfälle zu. Vielleicht einen Münzwurf. In diesem Fall mit geringem Erfolg. Die meisten Leute glauben nicht, dass es so einen Menschen geben kann. Sie verstehen sicher, was

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