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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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es auf. Das machte alles nur noch schlimmer. Ich sah auf die Uhr. Noch zwei Stunden. »Der Hof«, auf dem sich die Kiffer nach einem ergötzlichen Tag an der Heritage Middle School einfanden, war höchstens fünf Kilometer entfernt. Ich wusste, warum der Ghost diesen Ort gewählt hatte. Er war leicht überschaubar. Er war abgeschieden, besonders in den Sommermonaten. Und wenn man einmal drin war, hatte man kaum noch eine Chance, lebend zu entkommen.
    Das Handy des Ghost klingelte. Er sah hinunter, als höre er das Geräusch zum ersten Mal. Zum ersten Mal sah ich so etwas wie Verwirrung über sein Gesicht huschen. Ich spannte die Muskeln, wagte jedoch nicht, nach der Scherbe zu greifen. Noch nicht. Aber ich war bereit.
    Er klappte sein Handy auf und hielt es ans Ohr. »Ja«, sagte er.
    Er hörte zu. Ich studierte sein farbloses Gesicht. Seine Miene blieb unverändert, aber irgendetwas war passiert. Er blinzelte mehrmals. Er sah auf die Uhr. Fast zwei Minuten lang sprach er kein Wort. Dann sagte er: »Ich bin gleich da.«
    Er erhob sich und kam auf mich zu. Er beugte sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr: »Wenn du diesen Stuhl verlässt, wirst du mich noch darum anflehen, dass ich dich umbringe. Verstanden?«
    Ich nickte.
    Der Ghost ging und schloss die Tür hinter sich. Im Raum war es dunkel. Draußen wurde das Licht langsam schwächer, die Strahlen der Sonne wurden durch die Zweige verdeckt. Nach vorne raus gab es keine Fenster, daher wusste ich nicht, was dort vor sich ging.

    »Was ist los?«, flüsterte Katy.
    Ich legte den Finger auf die Lippen und lauschte. Ein Anlasser drehte sich. Ein Auto sprang an. Ich dachte an seine Warnung. Ich sollte den Stuhl nicht verlassen. Man sollte dem Ghost gehorchen, andererseits jedoch würde er uns so oder so umbringen. Ich beugte mich vor und ließ mich vom Stuhl fallen. Es war nicht die geschmeidigste Bewegung. Genau genommen sogar ziemlich spastisch.
    Ich sah zu Katy hinüber. Unsere Blicke trafen sich, und ich bedeutete ihr, sie solle still sein. Sie nickte.
    Ich hielt mich so dicht wie möglich am Boden und kroch vorsichtig zur Tür. Ich wäre ja wie ein Infanterist auf dem Bauch gekrochen, aber die kleinen Glasscherben hätten mich in Stücke geschnitten. Ganz langsam bewegte ich mich vorwärts und versuchte, mich nicht zu verletzen.
    Als ich an der Tür war, legte ich den Kopf auf den Boden und spähte durch den Spalt an der Unterkante. Ich sah den Wagen wegfahren. Ich versuchte, eine günstigere Haltung zu finden, doch das war kaum möglich. Also setzte ich mich auf und drückte das Auge an den seitlichen Türspalt. Das war noch schlechter. Die Öffnung war gerade mal eine dünne Ritze. Ich richtete mich etwas auf, und da war er.
    Der Fahrer.
    Aber wo war der Ghost?
    Ich überschlug die Fakten kurz. Zwei Männer, ein Auto. Ein Auto fährt weg. Ich bin nicht der große Mathematiker, aber das hieß, dass nur noch ein Mann übrig sein konnte. Ich wandte mich an Katy. »Er ist weg«, flüsterte ich.
    »Was?«
    »Der Fahrer ist noch da. Der Ghost ist weggefahren.«
    Ich schlich zu meinem Stuhl zurück und nahm die große Scherbe an mich. So leise und behutsam wie möglich krabbelte
ich hinter Katys Stuhl – die kleinste Gewichtsverlagerung könnte die Konstruktion ins Schwanken bringen. Ich sägte am Seil.
    »Was machen wir jetzt?«, flüsterte sie.
    »Du weißt, wie wir hier wegkommen«, sagte ich. »Wir hauen ab.«
    »Es wird dunkel.«
    »Deswegen ja auch jetzt.«
    »Der andere Typ«, sagte sie. »Der könnte bewaffnet sein.«
    »Ist er wahrscheinlich auch, aber willst du lieber warten, bis der Ghost zurückkommt?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Woher weißt du, dass er nicht gleich zurückkommt?«
    »Überhaupt nicht.« Das Seil riss. Sie war frei. Sie rieb sich die Handgelenke, und ich sagte: »Bist du dabei?«
    Sie sah mich an, und ich dachte, dass ich Ken früher vielleicht so angesehen hatte, mit dieser Mischung aus Hoffnung, Ehrfurcht und Vertrauen. Ich versuchte, mich tapfer zu geben, doch als Held bin ich nie besonders gut gewesen. Sie nickte.
    Es gab ein Fenster nach hinten raus. Mein Plan, wenn man es so nennen konnte, sah vor, dass wir dieses Fenster öffneten, hinauskletterten und durch den Wald davonschlichen. Wir würden uns so leise wie möglich bewegen, aber wenn er uns hörte, würden wir losrennen. Ich verließ mich darauf, dass der Fahrer entweder unbewaffnet war oder den Auftrag hatte, auf uns aufzupassen, ohne uns zu töten oder schwer zu

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