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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Grund werde ich wohl nie erfahren. Vielleicht war er lange genug auf der Flucht gewesen. Vielleicht wollte er das Böse überwinden. Vielleicht wollte er einfach nur festgehalten werden. Ich weiß es nicht. Aber Ken blieb bei mir. Er hielt mich umklammert, bis die Polizei kam und ihn von mir herunterzerrte.

58
    Vier Tage später
     
    Carlys Flug war pünktlich.
    Squares fuhr Nora und mich zum Flughafen. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zum Terminal C des Newark
Airport. Nora ging voraus. Sie kannte das Kind und freute sich sehr auf das Wiedersehen. Ich war beklommen und ängstlich.
    Squares sagte: »Ich hab mit Wanda geredet.«
    Ich sah ihn an.
    »Ich hab ihr alles erzählt.«
    »Und?«
    Er blieb stehen und zuckte die Achseln. »Sieht aus, als würden wir beide früher Vater werden als gedacht.«
    Ich umarmte ihn und freute mich wahnsinnig für die beiden. Was mich betraf, war ich mir nicht so sicher. Ich sollte eine Zwölfjährige aufziehen, die ich überhaupt nicht kannte. Ich würde mein Bestes tun, aber Squares’ Worte hin oder her – ich konnte nie Carlys Vater werden. Was Ken betraf, hatte ich mich mit einigem abgefunden, einschließlich der Aussicht, dass er wohl den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen würde, doch es bedrückte mich, dass er darauf bestand, seine Tochter nie wiederzusehen. Ich vermutete, dass er sein Kind schützen wollte. Wahrscheinlich meinte er, dass das Mädchen ohne ihn besser dran war.
    Ich sage »wahrscheinlich«, weil ich ihn nicht fragen konnte. Ken saß in Untersuchungshaft und weigerte sich, mich zu sehen. Ich wusste nicht, warum, aber seine geflüsterten Worte …
    Dich habe ich mehr verletzt und hintergangen als alle anderen.
    … hallten unaufhörlich in mir nach und schlugen mir rasiermesserscharfe Krallen ins Herz.
    Squares wartete draußen. Nora und ich eilten in die Halle. Sie trug den Verlobungsring. Natürlich waren wir zu früh dran. Wir fanden das Gate und liefen den Gang hinunter. Nora legte ihre Handtasche ins Röntgengerät. Ich löste den Metalldetektor aus, aber daran war nur meine Uhr schuld. Wir eilten zum Gate, obwohl das Flugzeug erst in fünfzehn Minuten landen sollte.

    Händchen haltend saßen wir da und warteten. Melissa hatte beschlossen, eine Weile in der Stadt zu bleiben. Sie pflegte meinen Vater gesund. Yvonne Sterno hatte den versprochenen Exklusivbericht bekommen. Was für Auswirkungen er auf ihre Karriere gehabt hat, weiß ich nicht. Bei Edna Rogers hatte ich mich noch nicht gemeldet. Das würde ich wohl bald tun.
    Gegen Katy war wegen der Schießerei keine Anklage erhoben worden. Ich dachte daran, wie dringend sie einen Schlussstrich hatte ziehen wollen, und fragte mich, ob ihr dieser Abend geholfen hatte. Ich ging davon aus.
    Der leitende stellvertretende Direktor Joe Pistillo hatte kürzlich angekündigt, dass er zum Jahresende in den Ruhestand treten wollte. Ich verstand jetzt nur zu gut, warum er so nachdrücklich darauf bestanden hatte, dass ich Katy Miller aus der Sache heraushielt – nicht nur wegen ihrer Gesundheit, sondern vor allem wegen dem, was sie gesehen hatte. Ich weiß nicht, ob Pistillo wirklich an der Aussage der Sechsjährigen gezweifelt hatte oder ob er Katys Worte angesichts der Trauermiene seiner Schwester so verdreht hatte, bie sie ihm in den Kram passten. Ich weiß, dass das FBI Katys damalige Aussage unterschlagen hatte – angeblich zum Schutz des kleinen Mädchens. Doch ich habe da so meine Zweifel.
    Natürlich war ich am Boden zerstört, als ich die Wahrheit über meinen Bruder erfuhr, aber trotzdem – das klingt womöglich merkwürdig – war es irgendwie gut so. Die hässlichste Wahrheit war am Ende immer noch besser als die schönste Lüge. Meine Welt war dunkler geworden, aber sie war wieder im Lot.
    Nora beugte sich zu mir. »Alles okay?«
    »Ich hab Angst«, sagte ich.
    »Ich liebe dich«, sagte sie. »Carly wird dich auch lieben.«
    Wir starrten auf den »Ankunft«-Bildschirm. Er begann zu
blinken. Eine Angestellte der Continental Airlines griff zum Mikrofon und sagte durch, dass Flug 672 gelandet war. Carlys Flug. Ich drehte mich zu Nora um. Sie lächelte und drückte wieder meine Hand.
    Dann ließ ich den Blick schweifen. Ich streifte die wartenden Passagiere, die Männer in Anzügen, die Frauen mit Handgepäck, die Familien auf dem Weg in den Urlaub, die Verspäteten, die Frustrierten, die Geschafften. Beiläufig glitt mein Blick über ihre Gesichter, und da entdeckte ich ihn. Er sah mich

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