Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
»Du scherzt.«
»Nein.«
Mac ließ den Blick noch eine Weile auf seinem Bruder ruhen, bis er sich kopfschüttelnd abwandte und an seiner Zigarre zog. »Sie schien jedenfalls sehr an dir interessiert zu sein. Ich gebe ihr Zeichenunterricht, jedenfalls werde ich das tun, sobald ich dieses verfluchte Bild fertig habe. Mein Modell ist heute Morgen aus heiterem Himmel wieder aufgetaucht und schwärmte von irgendeinem anderen Künstler, mit dem sie zusammen war. Ich würde ja ein anderes Modell nehmen, aber Cybele ist einfach perfekt.«
Darauf gab Ian keine Antwort. Er könnte es leicht einrichten, im Atelier zu sein, wenn Beth ihren Zeichenunterricht nahm. Dann würde er ihren Duft einatmen, zusehen, wie ihr Puls flatterte und Schweißtropfen ihre Haut netzten.
»Ich habe um ihre Hand angehalten.«
Mac verschluckte sich am Zigarrenrauch und nahm den Stumpen aus dem Mund.
»Verflucht, Ian.«
»Sie hat abgelehnt.«
»Gott im Himmel.« Mac blinzelte. »Hart würde vor Schreck tot umfallen.«
Ian dachte an Beths offenes Lächeln und ihre kluge, aufgeweckte Art. Ihre Stimme war Musik in seinen Ohren. »Sie wird Hart gefallen.«
Finster sah Mac ihn an. »Erinnerst du dich noch, was war, als ich ohne Harts fürstlichen Segen geheiratet habe? Dich wird er in Stücke reißen.«
Ian trank einen Schluck. »Was kümmert es Hart, wen ich heirate?«
»Wie kannst du nur solche Fragen stellen? Zum Glück ist er in Italien.« Mac kniff die Augen zusammen. »Es wundert mich, dass er dich nicht mitgenommen hat.«
»Er hatte keine Verwendung für mich.«
Hart nahm Ian oft auf seine Reisen nach Italien oder Spanien mit, denn Ian war nicht nur ein Sprachgenie, sondern er konnte sich bei Verhandlungen auch jedes Wort merken. Kam es im Nachhinein zu Zwistigkeiten, war er imstande, das Vereinbarte Wort für Wort wiederzugeben.
»Also trifft er sich mit einer Frau«, mutmaßte Mac. »Oder es geht um eine Staatsangelegenheit, von der wir nichts erfahren sollen.«
»Wahrscheinlich.« Ian steckte seine Nase tunlichst nicht zu tief in Harts Angelegenheiten, denn möglicherweise würde ihm nicht gefallen, was er erfuhr.
In Gedanken sah er Lily vor sich, die tot in ihrem Zimmer gelegen hatte, mit einer Schere im Herzen. Ian erwartete jeden Moment einen Bericht von seinem Diener Curry, der auf seinen Wunsch in London geblieben war.
»Sie machen mal lieber, dass Sie nach Paris kommen, Sir«, hatte Curry gesagt und Ians kleinen Handkoffer auf den Sitz des Erste-Klasse-Waggons geschoben. »Wenn jemand fragt, haben Sie einfach schon einen Zug früher genommen.«
Ian hatte den Blick gesenkt, und Curry hatte gereizt die Tür zugeworfen.
»Verflucht, M’lord, aber eines Tages müssen Sie endlich lernen zu lügen.«
Mac unterbrach Ians Gedankengang. »Du bist Mrs Ackerley also nachgereist? Das hört sich nach einem Mann an, der sich nicht so leicht abwimmeln lässt.«
In Gedanken las Ian noch einmal Beths Brief, spürte ihren Lippen nach. »Ich werde sie schon noch überzeugen.«
Mac lachte schallend. Köpfe drehten sich nach ihnen um, doch die Mädchen auf der Bühne tanzten unbeirrt weiter, die Hände fest auf den Hintern der anderen gepresst.
»Verflucht, diese Frau muss ich kennenlernen. Ich fange gleich mit dem Unterricht an. Du weißt nicht zufällig, wie ich ihr eine Nachricht zukommen lassen kann?«
»Bellamy berichtete mir, dass sie bei Isabella wohnt.«
Mac setzte sich auf, dabei fiel ihm die Zigarre aus dem Mund. Ian reagierte, bevor das Tischtuch Feuer fing, und ließ den Stumpen in eine Schale fallen.
» Sie ist in Paris?«
Seit drei Jahren, seit Isabella sein Haus verlassen hatte, während er seinen Vollrausch ausschlief, hatte er ihren Namen nicht mehr in den Mund genommen. Und auch die Worte meine Frau nicht mehr benutzt.
»Isabella ist vor vier Wochen in Paris eingetroffen«, sagte Ian. »Jedenfalls behauptet dein Diener das.«
»Teufel auch. Bellamy hat mir gegenüber nichts erwähnt. Dem drehe ich die Gurgel um.« Macs Blick schweifte in die Ferne, als plane er die Exekution seines Dieners. Bellamy war ein ehemaliger Faustkämpfer, es stand also zu befürchten, dass Macs Rache kaum von durchschlagender Wirkung sein würde. »Verflucht«, sagte Mac sehr leise.
Ian überließ seinen Bruder sich selbst und widmete sich den Tänzerinnen. Mittlerweile hatten die Damen ihre Korsetts abgelegt, ihre Brüste waren klein mit Warzen von der Größe eines Pennys. Die Herrschaften an den Nachbartischen lachten und
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