Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Curry hatte diese Beobachtung bestätigt.
»Ich habe Lily nicht beschützen können. Ich kann Sie nicht beschützen.«
Auf einmal spielte ein leises Lächeln um ihre Lippen. »Mich brauchen Sie auch nicht zu beschützen.«
Herr im Himmel, diese Frau war einfach zu naiv. Sie stand den MacKenzies nah. Damit war sie gebrandmarkt. »Fellows wird versuchen, Sie zu benutzen, um an uns heranzukommen. Das ist seine Art.«
»Macht er das auch mit Isabella so?«
»Zumindest hat er es versucht. Erfolglos allerdings.« Fellows hatte angenommen, Isabella würde den gesamten MacKenzie-Clan verachten, nachdem sie Mac verlassen hatte. Der Inspektor hatte darauf spekuliert, dass Isabella alle Familiengeheimnisse ausplaudern würde, doch da hatte er sich gehörig getäuscht. Isabellas Vater war ein Earl, in ihren Adern floss blaues Blut, und sie ließ sich nicht dazu herab, mit einem gewöhnlichen Beamten zu sprechen. Nach wie vor galt ihre Loyalität den MacKenzies.
»Na, also«, sagte Beth. »Bei mir wird er auch kein Glück haben.«
»Wenn Sie sich mit uns verbünden, werden Sie es bereuen.«
»Dafür ist es wohl zu spät, das sagte ich doch bereits. Inzwischen habe ich Isabella kennengelernt, und bestimmt würde sie nicht so gut von Ihnen sprechen, wenn sie Sie für einen Mörder hielte.«
Aus unerfindlichen Gründen hatte sich Isabella ihre Zuneigung für Ian, Hart und Cam bewahrt. Ian hatte sie auf Anhieb gemocht; Mac hatte sie ihm einen Tag nach ihrer heimlichen Hochzeit vorgestellt. Damals war Isabella unglaublich unschuldig und naiv gewesen, dennoch hatte sie sich mutig in die Männerwelt der MacKenzies gestürzt.
»Isabella vertraut uns.«
Beth lockerte ihren Griff. »Wenn sie es kann, kann ich es auch.«
Allmählich verrauchte seine Wut, legte sich die Verzweiflung. Beth glaubte ihm. Auch wenn es närrisch von ihr war. Ian spürte, dass sich die innere Leere in ihm zu füllen begann.
»Sie glauben einem Verrückten?«, fragte er.
»Sie sind doch nicht verrückt.«
»Man hat mich nicht ohne Grund in eine Anstalt gesperrt. Jedenfalls konnte ich die Ärzte nicht von meiner geistigen Gesundheit überzeugen.«
Beth lächelte. »Eine Frau aus der Gemeinde meines Mannes hielt sich für Königin Victoria. Sie trug schwarze Witwentracht und Trauerbroschen und redete unentwegt von ihrem seligen Albert. So wunderlich werden Sie ja kaum sein.«
Ian wandte sich von ihr ab, und sie war gezwungen, seinen Arm loszulassen. »Nach meiner Entlassung aus der Nervenheilanstalt habe ich drei Monate lang nicht gesprochen.«
»Oh.«
»Ich konnte es zwar, aber ich wollte nicht. Und ich hatte keine Ahnung, wie sehr es meine Brüder bedrückte, bis sie es mir gesagt haben. Ich kann das Verhalten anderer nicht einschätzen. Man muss mir alles klar und deutlich sagen.«
Unsicher lächelte sie ihn an. »Lachen Sie deshalb auch nie über meine Scherze? Ich habe schon an mir gezweifelt.«
»Wie ich mich zu verhalten habe, lerne ich, indem ich andere beobachte. Klatscht das Publikum in der Oper, klatsche ich mit. Für mich ist es wie eine fremde Sprache. Und in der Masse kann ich keiner Unterhaltung folgen.«
»Haben Sie deshalb damals in Mathers Loge kaum etwas gesagt?«
»Am einfachsten ist es für mich mit nur einem Gegenüber.« Denn dann konnte er sich ganz auf diese eine Person einstellen. Sprachen mehrere Personen durcheinander, war er verloren. Als Kind war er dafür bestraft worden, wenn er sich beim Essen nicht an der Unterhaltung beteiligt oder auf Fragen nicht reagiert hatte. Mürrisch , hatte ihn sein Vater genannt. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede, Junge.
»Lieber Ian, dann geht es Ihnen so wie mir. Mrs Barrington hat mich zwar von der Pike auf gelehrt, wie man sich in Gesellschaft zu benehmen hat, doch manches habe ich noch immer nicht verstanden. Warum ist es unziemlich, Eis mit dem Löffel zu essen? Man muss die Gabel nehmen, was doch albern ist. Am schwersten fällt es mir, den Teller nicht leer zu essen, um ja nicht ausgehungert zu erscheinen. Als Kind habe ich oft Hunger gelitten, deshalb verstört mich das zutiefst.«
Ian ließ sich von ihren Worten umspielen, ohne dem Sinn nachzugehen. Er mochte ihre Stimme, sie war so sanft und kühl wie ein Gebirgsbach in der schottischen Wildnis.
»Du kannst mich ab jetzt Ian nennen«, sagte er.
Verwundert sah sie ihn an. »Wirklich?«
»Du hast es bestimmt schon fünf Mal getan.«
»Siehst du, für mich bist du ein Freund.«
Ein Freund. Dabei wollte er noch viel
Weitere Kostenlose Bücher