Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
hin und wieder trat sie an den Spiegel und öffnete den Kragen. Ians rotes Mal zeichnete sich deutlich von ihrer Haut ab, beinahe wie ein Bluterguss. Im Armenhaus hatten viele Mädchen solche Male gehabt, und wenn Beth sich besorgt danach erkundigt hatte, war sie nur verlacht worden.
Beth presste die Hand auf den Liebesbiss. Damals hatte sie nicht verstanden, warum jemand so etwas tun würde, doch nun dachte sie an das aufregende Kribbeln, als sein Atem über ihre Haut blies, an das Pulsieren in ihrer Mitte, als sich seine Zähne in ihr Fleisch gruben. Dabei hatte sein Haar sie am Kinn gekitzelt, weich und nach Seife duftend.
Sie hörte Isabella nach Hause kommen und hoffte, dass die Freundin vorm Schlafengehen nicht noch einmal bei ihr hereinschaute. Beth hatte Isabella von Herzen gern, doch würde sie ihre Unruhe und Erregung nicht vor ihr verbergen können. Isabella würde ihr Geheimnis ans Licht zerren.
Isabella war ungewöhnlich leise heute Nacht und schloss fast sofort ihre Zimmertür. Durch die Wand vernahm Beth die gedämpfte Stimme der Zofe, die Isabella behilflich war, sich für die Nacht herzurichten. Dann verließ das Mädchen das Zimmer und alles wurde still.
Beth kam nicht zur Ruhe. Ihr Körper befand sich noch immer im Zustand äußerster Erregung, und sie war frustriert, dass nicht zu Ende geführt worden war, was sie begonnen hatte. Sie hatte befürchtet, Ian würde ihren Vorschlag einer Liaison mit einem Lachen abtun. Auch wenn sie schon das Bett mit einem Mann geteilt hatte und um die höchsten Entzückungen wusste – für Ian MacKenzie war sie unerfahren. Er war die pure Dekadenz – eine Kategorie für sich.
Er hatte ihr ein Lächeln geschenkt, hatte sie für einen Augenblick angesehen und dann eingewilligt. Weder hatte er amüsiert noch gelangweilt oder gar peinlich berührt gewirkt. Dieses Lächeln war ihr unter die Haut gegangen.
Gerade wollte Beth eine neuerliche Runde durch ihr Zimmer tun, da hörte sie unterdrücktes Schluchzen. Dieses Geräusch war ihr nur allzu vertraut, hatte sie nach Thomas’ Tod doch selbst oft nächtelang in ihrer Kammer gelegen und geweint.
Beth warf sich ihren Morgenrock über und eilte zum Nebenzimmer. Da Isabella auf das Klopfen nicht reagierte, stieß Beth die Tür einfach auf.
Im schwachen Schein der Gaslampen war das Zimmer kaum erhellt. Wie deprimierend. Als Beth ein Licht aufdrehte, entdeckte sie Isabella auf der Chaiselongue, das Gesicht in die Hände vergraben. Das lange Haar fiel ihr wie ein Vorhang über den Rücken, sie weinte schluchzend.
Beth schlüpfte neben sie, streichelte Isabellas seidiges Haar. »Was ist denn, Liebes?«
Isabella fuhr auf, das Gesicht rot und tränenüberströmt. »Geh.«
»Nein.« Beth strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. »Es ist furchtbar, allein zu weinen. Ich habe es oft genug getan.«
Isabella sah sie einen Moment lang an und warf sich ihr schließlich in die Arme. Beth drückte sie fest an sich und strich ihr übers Haar.
»Mac war heute Abend auf dem Ball«, schluchzte Isabella.
»Oh nein.«
»Die Comtesse hat uns beide eingeladen, nur um zu sehen, was wohl geschehen würde. Dieses Biest.«
»Und was ist passiert?«
Isabella hob den Kopf. »Er hat mich vollkommen ignoriert. Hat so getan, als sehe er mich nicht, und ich habe so getan, als sehe ich ihn nicht.« Sie seufzte verzweifelt. »Oh Beth, dabei liebe ich ihn doch so!«
»Ach Herzchen, das weiß ich doch.«
»Ich möchte ihn ja hassen. Wünschte, ich könnte es. Doch mir will es einfach nicht gelingen. Meist habe ich mich gut im Griff, aber als ich ihn heute Abend gesehen habe … «
Beth wiegte sie in den Armen. »Ich verstehe dich ja.«
»Du kannst mich nicht verstehen. Dein Mann ist gestorben, aber das ist nicht das Gleiche. Du weißt, dass dein Mann dich geliebt hat, und er wird für immer in deinem Herzen sein. Doch jedes Mal, wenn ich Mac begegne, ist es, als würde mir jemand Salz in die Wunden streuen. Einst hat er mich ja geliebt … «
Bei den letzten Worten brach Isabella in tiefes Schluchzen aus. Beth drückte sie tröstend an sich. Ihr blutete das Herz. Sie hatte den Kummer in den Augen der Freundin gesehen, den Schmerz in Macs Blicken. Eigentlich ging es sie ja nichts an, dennoch wünschte Beth, sie könnte den beiden helfen.
Isabella hob den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Das hat doch Zeit, ruh dich lieber aus!«
»Nein, ich möchte, dass du mich verstehst.«
Isabella
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