Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
konnte. Die Wirtin hat ausgesagt, dass Lily von Zeit zu Zeit Besuch von einem Gentleman bekommen hat. Sie hat den Mann nie zu Gesicht gekriegt, aber ein Augenzeuge hat ausgesagt, er habe in der Nacht, in der Lily mit einer Schere erstochen wurde, einen Besucher gesehen, und dieser Besucher war Lord Ian MacKenzie.«
Die Erde wollte sich unter Beth auftun, doch sie hielt den Kopf hoch. »Ihre Vermutungen sind noch lange kein Beweis. Und wenn der Zeuge nun schlechte Augen hat?«
»Ich bitte Sie, Mrs Ackerley. Sie werden mir zustimmen müssen, dass Lord Ian unverwechselbar ist.«
Dem hatte Beth nichts entgegenzusetzen, gleichzeitig wusste sie aber auch, dass Polizisten Zeugen durchaus einreden konnten, etwas gesehen zu haben, was sie in Wirklichkeit gar nicht gesehen hatten.
»Ich weiß nicht, warum Sie mir diese Geschichte erzählen«, sagte sie kühl.
»Aus zwei Gründen. Zum einen wollte ich Sie warnen, dass Sie sich mit einem Mörder eingelassen haben, zum anderen möchte ich Sie bitten, Lord Ian zu beobachten und relevante Informationen an mich weiterzugeben. Er hat beide Mädchen auf dem Gewissen, und ich werde es beweisen.«
Fassungslos starrte Beth ihn an. »Sie verlangen von mir, dass ich den Schwager einer Frau ausspioniere, der ich in Freundschaft verbunden bin? Dass ich eine Familie ausspioniere, die mich mit offenen Armen aufgenommen hat?«
»Helfen Sie mir, einen kaltblütigen Mörder zu stellen.«
»Ich stehe nicht im Dienst von Scotland Yard oder der Gendarmerie. Suchen Sie sich jemand anderen für Ihre schmutzige Arbeit.«
In gespielter Trauer schüttelte Fellows den Kopf. »Ihre Einstellung ist überaus bedauerlich, Mrs Ackerley. Wenn Sie sich weigern, mir zu helfen, muss ich Sie als Komplizin anklagen, sobald Lord Ian hinter Schloss und Riegel sitzt.«
»Ich habe einen Anwalt, Mr Fellows. Vielleicht sollten Sie sich an den wenden. Ich gebe Ihnen gern die Londoner Adresse.«
Fellows rang sich ein Lächeln ab. »Sie lassen sich nicht so leicht einschüchtern, das gefällt mir. Aber wollen Sie wirklich, dass Ihre neuen hochgeborenen Freunde erfahren, dass Sie eine Schwindlerin sind? Die Tochter eines Hochstaplers und einer Hure versucht, sich in die gute Gesellschaft einzuschleichen. Tz, tz, tz.« Er schnalzte mit der Zunge.
»Ich lasse mich auch nicht so leicht erpressen. Ihre Warnung werde ich als Sorge um mein Wohlergehen auffassen, und jetzt werden wir nicht mehr über diese Sache sprechen.«
»So und nicht anders sind wir uns dann ja einig, Mrs Ackerly.«
»Sie können jetzt gehen«, sagte Beth. Ihr Ton war so eisig, dass Mrs Barrington stolz auf sie gewesen wäre. »Und wir sind uns ganz und gar nicht einig.«
Fellows wollte sich seine Niederlage nicht anmerken lassen. Mit betont fröhlichem Lächeln griff er nach seinem Hut und wandte sich zum Gehen. »Sollten Sie Ihre Meinung ändern, ich wohne im Hotel am Gare du Nord. Guten Abend.«
Mit großer Geste schob er die Flügeltüren auf – und sah sich Ian MacKenzie gegenüber, der ihm wie eine Wand den Weg versperrte.
Noch ehe Beth etwas sagen konnte, packte Ian den Inspektor bei der Gurgel und stieß ihn zurück in den Salon.
6
Ian sah rot. Und durch den roten Schleier der Wut sah er, dass Beth ihr Haar zu derselben aufwendigen Lockenfrisur gelegt trug wie heute Morgen. Er sah Fellows in seinem verknitterten schwarzen Anzug. Und er sah den Abscheu in Beths blauen Augen.
Verflucht, Fellows hatte es ihr gesagt. Hatte ihr alles gesagt.
Der Inspektor versuchte, Ians Hände von seinem Hals zu lösen. »Einen Polizisten anzugreifen ist eine sträfliche Handlung.«
»An Ihnen ist alles sträflich.« Ian stieß ihn von sich. »Verschwinden Sie.«
»Ian.«
Er drehte sich zu ihr um. Wie eine Blume stand Beth vor ihm, zart und zerbrechlich, wie ein Hoffnungsschimmer in seiner tristen Welt.
Er hatte nicht gewollt, dass sie von dem Elend in dem Haus in High Holborn erfuhr und von allem, was er die letzten fünf Jahre zu vertuschen versucht hatte. Beth war ahnungslos gewesen, unschuldig und unbefleckt.
Doch Fellows hatte alles zunichte gemacht. Dieser Mann war verflucht und richtete jeden in seiner Umgebung zugrunde. Ian wollte nicht, dass Beth ihn ansah und sich fragte, ob er ein Messer in den warmen Körper der Kurtisane gestoßen und danach mit ihrem Blut die Wände besudelt hatte. Sie sollte ihn weiterhin mit diesem leisen Staunen anschauen und entzückt lächeln, wenn er mal wieder einen Scherz nicht verstand.
Mitunter geriet er
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