Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
zum Strand.
»Machen wir in London noch Halt?«, fragte sie erstaunt.
Ian nickte nur stumm. Aus dem Fenster betrachtet wirkte London schmutzig und trüb, vor allem im Vergleich mit den breiten Boulevards und üppigen Parks in Paris. »Wohnst du in dieser Gegend?«
»Mein Hausstand wurde nach Schottland gebracht, während ich in Frankreich war.«
»Wohin fahren wir?«
»Wir besuchen einen Kunsthändler.«
Als Ian sie in einen engen Laden am Strand führte, der bis unter das Dach mit orientalischen Raritäten gefüllt war, ging ihr ein Licht auf.
»Oh, du kaufst Ming-Porzellan«, sagte sie. »Eine Vase?«
»Eine Schale. Mit Vasen kenne ich mich nicht aus.«
»Ist das nicht nahezu das Gleiche?«
Er sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren, also klappte sie den Mund wieder zu und schwieg.
Der Händler, ein untersetzter Mann mit stumpfem blondem Haar, versuchte Ian für eine Vase zu begeistern, die zehnmal so viel kosten sollte wie die kleine, angestoßene Schale, deretwegen Ian gekommen war.
Fasziniert beobachtete Beth, wie behutsam Ian die Schale hielt, als er sie genau examinierte. Ihm entging kein Detail. Er roch daran, leckte mit der Zunge darüber, schloss die Augen und legte die Schale an seine Wange.
»Sechshundert Guineen«, sagte er schließlich.
Der beleibte Händler sah ihn überrascht an. »Gütiger Gott, Sie werden noch arm bei mir. Ehrlich gesagt hätte ich nur dreihundert verlangt. Die Schale ist angeschlagen.«
»Dafür ist sie selten«, sagte Ian. »Sie ist sechshundert wert.«
»Nun gut«, sagte der Händler freudig. »Dann also sechshundert. Für mich ist das ein gutes Geschäft. Sie wollen nicht zufällig meine restliche Sammlung sehen?«
Ehrfürchtig stellte Ian die Schale auf den Samtbeutel, den der Händler auf den Tresen gelegt hatte. »Ich habe keine Zeit. Ich reise noch heute Abend mit meiner Frau nach Schottland.«
»Oh.« Der Ladeninhaber betrachtete Beth jetzt interessiert. »Verzeihen Sie, Mylady, das habe ich nicht gewusst. Meinen Glückwunsch.«
»Ja, es kam alles recht plötzlich«, sagte Beth matt.
Der Händler hob die Brauen und sah fragend zu Ian, dessen Finger schon wieder liebevoll über die Schale strichen. »Ich bin froh, dass Sie noch die Zeit gefunden haben, sich meine Ware anzusehen.«
»Wir haben Glück gehabt, Sie im Laden anzutreffen«, sagte Beth. »Und dass die Schale noch nicht verkauft wurde.«
Der Händler machte ein erstauntes Gesicht. »Das war nicht Glück, Mylady. Lord Ian hat mir von Paris telegrafiert, dass ich die Schale für ihn zurückhalte.«
»Oh, natürlich.«
Seit ihrer überstürzten Heirat war Beth ununterbrochen mit Ian zusammen gewesen, abgesehen von seinen Streifzügen durch den Zug oder auf der Fähre. Der überaus tüchtige Curry musste das Telegramm unterwegs von einem der Bahnhöfe abgeschickt haben. Eine weitere Lappalie, um die sich Ian nicht hatte kümmern müssen.
Der Gehilfe des Händlers verpackte die Schale unter Ians wachsamem Blick. Ian sagte, er würde jemanden mit dem Geld vorbeischicken, woraufhin der Händler sich verneigte. »Natürlich, Mylord. Und noch einmal, herzlichen Glückwunsch. Mylady.«
Beim Abschied hielt ihnen der Gehilfe die Tür auf, doch sie hatten kaum zwei Schritte getan, als Lyndon Mather aus einer Kutsche stieg und vor ihnen stand. Der gut aussehende blonde Mann blieb wie versteinert stehen, sein Gesicht nahm eine seltsame grüne Farbe an.
Beths Hand lag in Ians Armbeuge, und Ian zog Beth jetzt so vehement an sich, dass sie gegen ihn prallte.
Mather starrte wütend auf die Kiste unter Ians Arm. »Verflucht, ist das etwa meine Schale?«
»Die hätten Sie sich ohnehin nicht leisten können«, gab Ian zurück.
Mather blieb der Mund offen stehen, dann fiel sein Blick auf Beth, die sich am liebsten in die erstbeste Kutsche gesetzt hätte, um dieser Situation zu entkommen. Stattdessen blieb sie tapfer stehen und reckte das Kinn vor.
»Mrs Ackerley«, sagte Mather steif. »Sie sollten etwas mehr auf Ihren Ruf achten. Die Leute könnten Sie für Lord Ians Mätresse halten.«
Bei Leuten hatte Mather vermutlich sich selbst im Sinn.
Doch bevor Beth antworten konnte, sagte Ian leise: »Beth ist meine Frau.«
»Nein.« Mathers Gesicht verfärbte sich violett. »Sie Mistkerl. Ich verklage Sie, Sie beide. Wegen Vertragsbruch und überhaupt … «
Beth stellte sich vor, wie demütigend ein Gerichtsprozess wäre, Anwälte, die in ihrer Vergangenheit schnüffelten und womöglich ihre Ehe mit
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