Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
bewachsene Hänge prangten vor schroffen steilen Felswänden. Die Bergspitzen waren in Nebel gehüllt, doch die Sonne schien, und es war ein milder Nachmittag.
Die Kutsche bog jetzt von der Landstraße in eine schnurgerade baumgesäumte Allee ab. Beth lehnte sich zurück und atmete die reine Luft ein. Sie war erschöpft von dem Tempo, das Ian seit Paris vorgelegt hatte. An diesem Ort, wo nur der Vogelgesang die Stille unterbrach, würde sie sich ausruhen können.
Der Kutscher lenkte die Pferde durch ein breites Tor, das in einen Park führte. Vom Dach des kleinen, vierkantigen Torhauses wehte eine Flagge: zwei Löwen und ein Bär vor rotem Hintergrund. In einer weiten Kurve ging es einen Hügel hinab, zu dessen Fuß sich das Schloss erstreckte.
Beth richtete sich auf und drückte eine Hand auf ihr Herz. »Gott im Himmel!«
Das Schloss war gewaltig. Es umfasste drei Stockwerke, und die wuchtigen Flügel zu beiden Seiten des Mittelteils schienen das gesamte Tal wie Arme zu umfassen. Unzählige Fensterscheiben funkelten in der Gebäudefront, die hier und da von Türen und Balkonen unterbrochen wurde. Unter dem weiten Dach glänzte eine Reihe von Rundfenstern.
Nie hatte Beth einen schöneren Bau als diesen gesehen, der sich höchstens mit dem Louvre vergleichen ließ. Nur dass dies kein ferner Palast war, zu dem Beth nie Zutritt haben würde. Dies war Kilmorgan, ihr neues Zuhause.
Der Kutscher deutete mit der Peitsche auf das Schloss. »Es wurde kurz vor Bonnie Prince Charlies Amtszeit errichtet, M’lady. Der damalige Herzog war es leid, in zugigen Burgen zu wohnen. Das gesamte Dorf und alles Gesinde im Umkreis haben mitgeholfen. Die verdammten Engländer haben es nach Culloden niedergebrannt, doch der Herzog und sein Sohn haben es wieder aufgebaut. Nichts kann einen MacKenzie aufhalten.«
In seiner Stimme schwang unverkennbarer Stolz mit. Der Junge neben ihm auf dem Kutschbock grinste. »Er gehört auch zum MacKenzie-Clan«, sagte er. »Heimst den Ruhm ein, als wär er dabei gewesen.«
»Halt den Schnabel, Junge«, knurrte der Kutscher.
Ian sagte nichts, sondern schob sich die Hutkrempe über die Augen, als wollte er schlafen. Die Unruhe, die ihn im Zug umgetrieben hatte, schien wie weggeblasen. Beth hielt sich am Polster fest und nahm mit Staunen das Anwesen in Augenschein. Sie erkannte den klassizistischen Baustil Andrea Palladios, die ovalen Fenster mit Stuckatur, den Bogenfries und die symmetrisch angeordneten Fenster und Türen. Spätere Generationen hatten Details hinzugefügt wie etwa die steinerne Balustrade um das Portal und den modernen Klingelzug neben den Eingangstüren.
Nicht, dass sie hätten klingeln müssen. Sobald ihr Ian aus der Kutsche geholfen hatte, öffneten sich die Torflügel und gaben den Blick auf einen hochgewachsenen, eleganten Butler frei, der mit gut zwanzig Bediensteten in der marmorgefliesten Eingangshalle wartete. Das Personal war, so schien es, durch und durch schottisch. Alle hatten rotes Haar und wirkten ein wenig grobknochig, aber jeder von ihnen hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als Ian Beth ins Haus führte.
Obwohl Ian Beth nicht vorstellte, knicksten alle weiblichen Bediensteten wie auf Kommando und alle männlichen verneigten sich vor ihr. Der herrschaftliche Eindruck wurde ein wenig durch eine wilde Hundemeute geschmälert, die auf Ian zugestürmt kam. Beth zählte fünf Hunde unterschiedlicher Farbe und Größe.
Beth war den Umgang mit Hunden nicht gewöhnt und wich ein wenig ängstlich zurück, musste aber lachen, als sie an Ian hochsprangen, um ihn ausgelassen zu begrüßen. Ians Gesichtszüge entspannten sich, und er lächelte. Und zu ihrer Überraschung sah er die Hunde direkt an.
»Wie geht es euch, meine Hübschen?«, fragte er.
Der Butler verzog keine Miene, als wäre dieser Hundeempfang gang und gäbe. »M’lady.« Er verneigte sich. »Gestatten Sie mir, im Namen aller zu sagen, dass wir uns freuen, Sie hier willkommen heißen zu dürfen.«
Nach den strahlenden Gesichtern zu urteilen, teilten die anderen Dienstboten seine Meinung. Noch nie zuvor hatte sich jemand dermaßen über Beth Ackerley gefreut.
Lady Ian MacKenzie , verbesserte sie sich. Vom ersten Augenblick an hatte sie gespürt, dass Ian MacKenzie einen großen Einfluss auf ihr Leben haben würde. Und nun spürte sie diesen Einfluss weiter wachsen.
»Morag wird Sie in Ihre Räume geleiten, M’lady«, fuhr der Butler fort. Er war ein hochgewachsener Mann, dessen rotblondes Haar erste
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