Kein Mann für eine Nacht: Roman (German Edition)
so, dass ich es verstehe.«
Er drehte ihr den Rücken zu. Eine Pause schloss sich an. Vage hörte sie eine entfernte Polizeisirene, das Rattern eines vorbeifahrenden Lastwagens. »Man konnte sie nicht einordnen«, räumte er schließlich ein. »Man musste in jedem einen Feind sehen.«
Seine Stimme klang gefasst, distanziert. Er drehte sich zu ihr und fixierte sie eindringlich. Sie nickte, obwohl sie nicht recht kapierte. Wieso hackte er ständig auf ihr herum? Viel eher waren es doch seine Vietnamerlebnisse, die ihn psychisch blockierten, oder?
»Du läufst an einem Reisfeld vorbei, siehst ein paar kleine Kinder – vier, vielleicht fünf Jahre alt. Und plötzlich wirft eines von ihnen eine Granate auf dich. Scheißspiel. Was für ein Krieg ist das?«
Sie begann zu tippen, versuchte seine Schilderung niederzuschreiben, unschlüssig, ob sie richtig handelte.
Er schien das Klappern der Schreibmaschine gar nicht zu bemerken. »Das Dorf war ein Zentrum des Vietcong. Durch die Guerilla verloren wir einen Haufen Leute. Sie wurden gefoltert, verstümmelt, verschachert. Es waren unsere Freunde … Männer, die uns so nahestanden wie unsere Familien. Wir sollten das Dorf stürmen und dem Erdboden gleichmachen. Die Zivilisten kannten die Regeln. Unschuldigen droht keine Gefahr! Ruhe bewahren, Besonnenheit zeigen und unter gar keinen Umständen fliehen! Das halbe Dorf stand unter Drogen, anders war es nicht auszuhalten.« Er tat einen stockenden Atemzug. »Wir landeten mit dem Flugzeug in der Nähe des Dorfes, und sobald die Landebahn gesichert war, eröffnete die Artillerie das Feuer. Als alles klar zum Einmarsch war, drangen wir vor. Wir trieben alle Bewohner auf dem Marktplatz des Dorfes zusammen. Sie liefen nicht weg – sie kannten die Regeln -, trotzdem wurden etliche erschossen.« Sein Gesicht verfärbte sich aschgrau. »Ein kleines Mädchen … es hatte lediglich ein kurzes Hemd an, das seinen Körper kaum bedeckte, so ein Hemdchen mit kleinen gelben Enten drauf. Irgendwann war es vorbei, das Dorf brannte, jemand stellte Armed Forces Vietnam im Radio ein, und Otis Redding sang ›Sittin’ on the Dock of the Bay‹ … Da war der Körper der Kleinen über und über mit Fliegen bedeckt.«
Er deutete auf die Schreibmaschine. »Hast du das mit der Musik geschrieben? Die Musik ist wichtig. Jeder, der in Vietnam war, erinnert sich an die Musik.«
»Ich … keine Ahnung. Du erzählst so schnell.«
»Lass mich mal.« Er schob sie beiseite, riss das Blatt aus der Maschine und spannte ein neues ein. Gedankenvoll schüttelte er den Kopf, dann begann er zu tippen.
Sie ging zur Couch und wartete. Er nahm den Blick nicht von den Seiten, die magisch durch die Maschine glitten. Trotz der Kühle im Raum bildete sich ein dünner Schweißfilm auf seiner Stirn. Die Bilder, die er skizziert hatte, brannten sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis. Das Dorf, die Menschen, das Hemd mit den gelben Entchen. Das Grauen, das an jenem Tag geschehen war.
Leise und von Jake unbemerkt stahl sie sich aus dem Raum.
Am Abend war sie mit Kissy zum Essen verabredet. Bei ihrer Rückkehr wurde sie von dem Klappern der Schreibmaschine empfangen. Sie bereitete ihm ein Sandwich zu und schnitt eine Scheibe vom Rest der französischen Mandeltorte ab, der von der Dinnerparty übrig geblieben war. Dieses Mal klopfte sie gar nicht erst an, sondern benutzte ihren Schlüssel.
Er saß über die Schreibmaschine gebeugt, seine Züge von Müdigkeit überschattet. Kaffeebecher und Papier verteilten sich auf dem Schreibtisch. Er grummelte irgendetwas Unverständliches, als sie das Tablett abstellte und die Becher für den Abwasch einsammelte. Sie machte frischen Kaffee.
Seit dem Morgen kämpfte sie gegen eine entsetzliche Vermutung an. In Sunday Morning Eclipse hatte Matt das Blutbad geschildert, das er in Vietnam erlebt hatte. Inzwischen kreisten ihre Gedanken unablässig um die fatale Frage: War Jake wie die von ihm geschaffene Filmfigur ein wehrloses Opfer des Massakers gewesen, oder hatte er sich aktiv daran beteiligt?
Fröstelnd schlang sie die Arme um ihre Brust und verließ sein Apartment.
Im Laufe der Woche rief Dick Spano bei ihr an. »Ich muss unbedingt wissen, wo Jake ist. Ich brauche ihn dringend.«
»Er ruft nie bei mir an«, sagte sie, was ja auch stimmte.
»Wenn doch, richte ihm aus, dass ich ihn suche.«
»Ist aber eher unwahrscheinlich.«
Am Abend ging sie hoch ins Dachgeschoss, um Jake über den Anruf zu informieren. Seine Augen
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